Wein

Bitte gib mir bitte noch einen O!

Es ist ein kalter und feuchter Dezembermorgen. Ich stehe müde und leicht fröstelnd in Düsseldorf am Bahnsteig. Um 11 Uhr habe ich einen Termin in Hamburg. War ja klar, was passiert. Mein iPhone übermittelt mir keine guten Nachrichten. Für meinen Zug nach Hamburg entfällt wegen einer Weichenstörung der Halt in Düsseldorf. Auch der nächst mögliche – wie war das nochmal mit “Es gibt immer einen Zug früher”? – ist davon betroffen.

Ein klarer Gedanke schafft es noch durch den Nebel aus Müdigkeit, Ärger und Nervosität: Vielleicht gibt’s ja noch einen bezahlbaren Flug nach Hamburg. Schließlich will ich nicht umsonst so früh
aufgestanden sein. In der Tat ist der für etwas mehr als den Preis einer Bahnfahrt in die Hansestadt zu haben. Cool, ich wollte schon immer mal spontan einen Flug buchen – okay, die Ziele waren ansonsten allerdings eher London, New York und so.

Nach Hamburg führt mich eine weitere Premiere, eigentlich sind es derer gleich zwei. Mein Ziel befindet sich im Stadtteil Winterhude im Poßmoorweg 2: Das Verlagsgebäude des Jahreszeiten Verlags. Dort erscheint Der Feinschmecker und seit Frühjahr 2016 der jüngere Ableger Foodie. Ich werde also die Redaktion des altehrwürdigen Feinschmeckers betreten. Dort nehme ich an einem Test von Orangen-Direktsäften für Foodie teil.

Foodie ist eine Mischung aus kulinarischem Lifestyle mit zeitgemäßen, zu bewältigenden Rezepten, neuen angesagten Bars und Lokalen und andern Hotspots im In- und Ausland. Zielgruppe sind im Prinzip diejenigen, denen Der Feinschmecker zu gourmetlastig ‘rüberkommt und die Beef als optisches Pendant zu fleischlastig ist. Dort nehme ich an einem Test von Orangen-Direktsäften teil. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen: eine bunt gemischte Jury und die eigene Geschmacksüberprüfung. Blindverkostung

Wein habe ich bei Weinproben oder beim originellen Gruß des Service, mit einem Wein im schwarzen Glas, im Wolfsburger Aqua schon oft blind verkostet. Das ist ungemein spannend, weil man so, frei von Etiketten, nur auf den eigenen Geruchs- und Geschmackssinn vertrauen muss. Eine Verkostungspraxis, die leider nicht bei allen Weinführern angewandt wird. Einer der heutigen Juroren, Master Sommelier Hendrik Thoma, wäre beim Erkennen von Weinen gewiss in seinem Element.

Aber es geht ja um Orangensaft. Den trinke ich gerne zum Frühstück und hatte sogar mal eine elektrische Saftpresse. Die Reinigung war allerdings im Verhältnis zum durchaus köstlichen Geschmackserlebnis sehr aufwändig. Also greife ich zumeist im Rewe ins Kühlregal und kaufe Innocent Organgensaft. Sieht gut aus, macht ein gutes Gefühl und schmeckte mir bisher. Das einstige Start-up gehört mittlerweile allerdings zu über 90 Prozent dem Coca-Cola-Konzern. Ob der Saft auch unter den Trest-Kandidaten ist und ich ihn erkenne?

Der Test

Autor Benjamin Cordes, der auch ein lesenswertes Kochbuch-Blog betreibt, hatte im Vorfeld 22 Orangen-Direktsäfte eingekauft. Mit Feinschmecker Redakteur Kersten Wetenkamp serviert er sie für den Test in neutralen Plastikbechern. Wirkt wie eine klinische Studie und ist auch nicht Genuss pur. Da ist alles dabei! Parfümiert schmeckendes Zeug, Säfte bei denen wahlweise Süße und Säure in einem unangenehmen Verhältnis stehen und solche, die schmecken, als wären sie schon mal aufgekocht worden. So oder so trinken wir ja nicht alles, der Magen dankt’s! Dann sind da aber auch Proben, die verdammt nah, so nah, dass man sie direkt dafür halten könnte, an einen frisch gepressten Saft herankommen. Bis der Pirat, also ein wirklich à la minute gepreßter Saft, in den Bechern vor uns steht. Der Unterschied zu den anderen Säften ist zu frappierend, dass niemand das Original verkennt.

Das Ergebnis

Wie es auch bei Blindverkostungen von Wein ab und an passiert, siegte nicht das renommierte Weingut beziehungsweise das teure Markenprodukt, sondern der Direktsaft vom Discounter, in diesem Fall von Lidl. Auf Platz zwei landete mit dem Lütauer das Produkt eines regionalen Herstellers, gefolgt von einem Penny-Saft. Es ist wie es ist und dabei erstaunlich und widerspricht meiner Überzeugung und meinem Einkaufsverhalten. Das passiert, wenn man rein die Sensorik beurteilt.

Bei Direktsäften handelt es sich um nach dem Pressen pasteurisierten und abegfüllten Saft, der frei von Konservierungs- und Farbstoffen sein muss. Bei den letzten Tests von Stiftung Warentest und Ökotest schnitten alle dort untersuchten Säfte bei Rückständen von Pflanzenschutzmitteln erfreulicherweise gut ab.

“Meinen” Innocent Orangensaft habe ich eher im unteren Mittelfeld bewertet, wie die anschließende Offenlegung zeigte. Ebenso enttäuschend schnitten die verkosteten Bio-Säfte ab. Erstaunlich war, dass viele der frischgekauften Säfte vorm Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums geschmacklich bereits deutliche Alterungs- und Gärnoten aufwiesen.Jetzt schnell zum Bahnhof, auf den ganzen Saft erst einmal ein belegtes Brötchen kaufen und verschlingen, bevor mir im diesmal pünktlich einfahrenden Zug sofort die Augen zufallen.

Jetzt halte ich die aktuelle Ausgabe von Foodie in den Händen und ich sehe nur die schwarzen Ränder unter meinen müden Augen. Gibt`s dagegen eigentlich ein Rezept im Magazin?

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