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Restaurant Lerbach, Bergisch Gladbach

LEIDER GESCHLOSSEN! Vor unserem Besuch im Schlosshotel Lerbach habe ich ein wenig Sorge. Der sympathische Nils Henkel nimmt mir doch hoffentlich nicht übel, daß ich seinen Kochstil unlängst mit den Worten, er habe eine fast feminine Handschrift, charakterisierte. Damit war sein filigraner, feingliedriger Stil gemeint, der dennoch prägnant ist, aber nicht vordergründig würzig, salzig oder süß. Exemplarisch stehen hierfür in meinen Augen besonders seine Süßwasserfisch-Gerichte. Eine Handschrift vorweisen zu können, ist in der deutschen Kochlandschaft durchaus etwas Besonderes. Ein Henkel-Gericht könnte ich wahrscheinich aus einer Reihe von Gerichten herausfinden. Neben dieser Handschrift hat der 44-Jährige ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Er ist ein begnadeter Gemüsekoch.

Da triffte es sich doch gut, daß Nils Henkel sein normales “Pure Nature”-Gemüsemenü diesmal im Rahmen der von Jürgen Dollase initiierten F.A.Z.-Gourmetvision präsentiert. Zugleich widmen sich Henkel und Sommelier Peter H. Müller elaboriert mit “Unvergoren” einer echten alkoholfreien Getränkebegleitung. Das hat auch noch den charmanten Vorteil, daß die sich da noch in anderen Umständen befindende Commis alles mitgenießen konnte.

DSC_0282Zum Apero, einem prickelnden Traubensaft aus Südafrika von Ashton Kelder, sind Limonenbaiser mit Avocado ein leichter, erfrischender und Blumenkohl-Fondant mit Kerbel ein erdig-kohliger Wachmacher.

DSC_0286Wohin uns die Reise zum Gemüse führen könnte, macht schon das feine Amuse bouche, ein Dreierlei vom Gundermann, deutlich. Der bitter-aromatische Lippenblütler wurde vor der Kultivierung des Hopfens wegen seiner Bitterstoffe gar zur Konservierung von Bier genutzt. Im Amuse taucht er im Waldpilzsalat mit Rettichschaum und gepuffter Kartoffel als Gundermanngelee auf. Das Zusammenspiel mit dem tollen Produkt Burrata, gerollten Nudeln, Pilzpüree und Pilzcrumble, Gundermann-Gel und Gundermann-Luft blieb als besonders würzig, gar schlotzig in Erinnerung. Zum gebackenen Topinambur, Topinamburpüree gab es Gundermann als Gelee und als Macaron.

DSC_0295Der Einstieg ins Menü mit der Henkel’schen Interpretation eines Bauernsalates mit marinierten Bohnen, Schafskäse, Oliven und Gurke erinnert mich spontan an eine ähnlich tolle Variante, die ich vor längerer Zeit im vor wenigen Wochen mit einer wahren Hymne von Jürgen Dollase geadelten Restaurant Malathounis auf dem Teller hatte. Auch bei Henkel ist jedes Element sorgfältig studiert und behandelt worden. So ergibt sich ein leichtes und dennoch komplexes Geschmacksbild aus vermeintlich rudimentären Zutaten. Eingefaßt wird das Ganze schön von einem deutlich nach Bohnenkraut schmeckenden Jus. Der gefrorene Gurkenstick, der mit Mediterranean Tonic Water von Fever-Tree aufgegossen wird, paßt bestens dazu. Ein frischer und Lust auf mehr machender Auftakt.

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Von Griechenland nach Japan ist es zwar eine (kulinarische) Weltreise, aber nicht wenn man Produkte und Aromen einer Küche für seinen Stil derart sinnvoll verwendet wie Nils Henkel beim nächsten Gang: Grüner Spargel mit Misocreme, Sojaschaum und Umeboshi Pflaumen. Natürlich ist auf diesem wunderschönen Teller Umami versammelt. Bei aller Verdichtung und Tiefe bleibt es aber leicht und vorallem ohne vordergründige Salzigkeit. Leicht verständlich und großartig! Um nicht zuviel vorwegzunehmen – derart gelungen war René Redzepis Grünspargel-Gang im Noma (Bericht folgt) vor Kurzem nicht.
Als Solist eher nur interessant, zum Essen aber kongenial: Henkels Pfeffertraube mit weißem Kamerunpfeffer und Traminersaft. Ich gebe zu, kurz auch einmal den Weg der tugendhaften Enthaltsamkeit verlassen und der aufregenden Weinempfehlung von Peter H. Müller zu diesem Gang gefolgt zu sein. Der knochentrockene 2012 Muskat Ottonel vom burgenländischen Weingut Velich war es mit seiner floralen und gleichsam bitteren Aromatik zum Spargel auch wert.

DSC_0325Rutsch mir doch den Buckel ‘runter! Was als mariniertes Getreide auf den Tisch kommt, ist geschmacklich neuartig und trotzdem vertraut, dabei spannenend und gleichzeitig verständlich zu essen. Der eingemachte Pfirsich sorgt für Süße, Fichtensprossen in der Jus und als Spitzen junger Triebe sorgen für Vegetabilität und Spannung. Die etwas zu groß geratenen Stücke Kefir-Baisser bringen Textur und sind verbindenes Element. Die ausgebackenen Getreidebällchen würden wir ob ihrer Perfektion gegen jedes Falafel eintauschen. Insgesamt umschifft die Küche hier, aufgrund der Süße, gerade noch den Dessertbereich und läuft sicher in den Hafen eines erstklassigen Gerichts ein. Passend das eingekochte Mark vom weißen Pfirsich mit Fichtennadelsprossen, das hier, aufgegossen mit Raumland Trauben-Secco, zum Bellini aus dem Wald wird.

DSC_0341Beim darauffolgenden Gang, Papardelle mit Artischocken, Parmesan und Tomate, legt Henkel für seine Gäste die Messlatte für nachfolgende Besuche bei italienischen Gastronomen auf eine neue Rekordhöhe. Das ist das perfekteste Pastagericht, das uns bisher unterkam! Ein geschmacksintensiver Nudelteig ist auf den Punkt gegart. Er trifft auf einen grandiosen Geschmack von u.a.  angetrockneten Tomaten, Tomatenkerngehäuse, frischen Artischocken, deren Gelee und Saft, und einen Parmesanchip, der mit seiner Pom-Bär-artigen Textur und seinem würzig-salzigen Parmesangeschmack für aromatische Abrundung sorgt. Der Artischocken Eistee aus gerösteten Artischockenblättern gefiel uns mit seinen malzigen Graubrotnoten als Begleitung zu diesem mediterranen Meisterwerk wesentlich besser als pur genossen.

DSC_0349Zum ersten Mal im Menü wird beim fermentierten Blumenkohl mit Rapskernmilch und Oxalis ein Gemüse in all seinen Facetten durchdekliniert. Mild-säuerliche Noten weisen die fermentierten Teile des Blumenkohls auf, harmonischen Wohlgeschmack steuern gebratene Elemente vom Kohl in Zusammenhang mit der Rapskernmilch bei. Grüne Noten stammen vom Oxalis, bürgerlich Sauerklee. Hier vermischt sich äußerst gelungen eine Herangehensweise an ein Gemüse á la Essigbrätlein mit Einflüssen der New Nordic Cuisine und endet in neuartigem, guten Geschmack. Das insgesamt eher milde Gericht wird fein vom Formosa Pai Mu Tan, einem weißen Tee aus Taiwan begleitet.

DSC_0362Das Pinkus Malz von Pinkus Müller aus Münster mögen wir. Es scheint auch wie gemacht zum malzigen Sauerteig mit Wachtelsolei, gelber Beete, Pfifferlingen undLiebstöckel. In diesem Gericht sind exemplarisch Süße, Säure, bitter-herbe Noten und Vegetabilität vereint. Der Sauerteig taucht in verschiedenen Variationen auf, u.a. als Creme, als Asche und als Sponge. So birgt jeder willkürlich zusammengestellte Bissen neue Kombinationen und somit sensorische Eindrücke. Auch hier, so läßt sich konstatieren, erleben wir neue, aufregende Aromen, die sich zu einem konsistenten, fast süffigen Geschmacksbild im Mund vereinen.  Ganz großer Sport auch die alkoholische Begleitung dazu, ein Viña Tondonia Rosé 1998 aus dem Rioja, der leichte Sherry-Noten mit einer überraschenden Frische vereint.

DSC_0372Einem hervorragenden Patissier wie Frédéric Guillon genügt eine leichte Verschiebung, um mit Karotte mitStachelbeere, Gierschsorbet und Ziegenjoghurt Gemüse sinnvoll im Dessert unterzubringen. Vielleicht sind Karotten mit ihrer Süße, neben der Verwendung in Babynahrung, in der süßen Küche auch einfach besser aufgehoben, wie auch Rüblikuchen beweist. An dessen Geschmack läßt uns das Gericht auch ein wenig denken, aber die herb-grünen und kühlen Noten vom Gierschsorbet und die süß-saure Stachelbeere lassen keine Langeweile aufkommen. Dazu trägt in der unvergorenen Getränkebegleitung auch die Saure Karotte, mit Stachelbeere und Ingwer aromatisierter Karottensaft, bei.

DSC_0378Da Nils Henkel auch die Portionsgröße bei seinem Menü selbstredend im Griff hat, können wir die süße Nascherei nachfolgend noch recht unbeschwert genießen. Zweierlei Heidelbeere mit Haselnußcreme und -crumble und die Petit fours sind sehr gelungen.

Der Service in Lerbach -unter der Leitung der charmanten Désirée Steinheuer– agiert bei aller ansprechender Lockerheit stets souverän und professionell und hat für den nachbohrenden Gast, sofort alle Antworten abrufbereit.

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Seit meinem letzten vegetarischen Menü, im Jahre 2010  noch in den Kinderschuhen steckend, hat sich im Umgang mit Gemüse bei Nils Henkel eine beachtliche Entwicklung vollzogen. Deutlich elaborierten und losgelöster von klassischen Geschmacksbildern ist hier eine einzigartige Herangehensweise entstanden, deren Weiterentwicklung -nicht zuletzt auch durch die Gourmetvision- hoffentlich weiter forciert wird. Der Esser wird zwar herausgefordert, aber nicht überfordert, auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht, aber nicht belehrt. Auch die unvergorene Begleitung durch Sommelier Peter H. Mülller ist auf diesem Gebiet eine Offenbahrung. DSC_0387Daß Nils Henkel seit dem Guide Michelin 2012 mit “nur” zwei Sternen ausgezeichnet ist, mutet auch vor diesem Hintergrund wie ein schlechter Scherz an. Das war eine politische Entscheidung, aber vor allem eine falsche, die dringend einer Korrektur bedarf.

Wer jetzt noch nicht den Weg nach Bergisch Gladbach antreten mag, dem sei noch das wunderbare Kochbuch Pure Nature ans Herz gelegt, das auch ein paar Jahre nach Erscheinen noch immer inspirierend wirkt.

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