Restaurants

AIRrepublic, Cadzand, Niederlande

Bäh, will nicht umami-Sauce!”, sagt energisch das Kind und schiebt den Teller weg. Mit dem Gericht von der Kinderkarte hat Sergio Herman in seinem Ende März 2017 eröffneten AIRrepublic ausnahmsweisen keinen Volltreffer gelandet. Zumindest bei diesem kleinen Gast nicht. Das Kind hat in gewisser Weise recht: Die Buttersauce ist konzentriert aromatisch. Am Ende liegt es auch nicht am Kinderteller der Auswahl, die eben mal nicht auf Frittiertes für die Kleinen setzt. Die saftige Schnitte vom Kabeljau mit Stampfkartoffeln und Saisongemüse schmeckt nämlich sehr gut. Die Lustlosigkeit des Kindes bei der Nahrungsaufnahme könnte auch an der Sättigung durch das knusprige italienische Brot, das mit Sauce Romesco, Oliven und Lauchzwiebeln auf den Tisch kam liegen –  und zuletzt wohlmöglich an der Aussicht auf Kinderhandy im Restaurant gucken, damit die Eltern in Ruhe essen können.

Sergio, Superstar. Dem Niederländer scheint auch nach der Schließung des Oud Sluis im Jahr 2013 jedes seiner Projekte zu gelingen. Erfolgreich mit dem The Jane in Antwerpen, nebenan im Strandhotel im Pure C läuft’s prächtig und – Pommes gehen immer – auch die Frites Ateliers in Den Haag, Utrecht, Arnheim, Antwerpen und bald Amsterdam sind zum Anbeißen. Dazu setzt er auf Köche, die durch seine harte Schule (“fucking perfect”) mit viel Stress, Arbeit und Druck gegangen sind. Die Dokumentationen zeigen es, Herman schonte auch sich selbst nie. Küchenchef im AIRrepublic ist Alex Buiten, der wie der talentierte Syrco Bakker im Pure C schon lange mit Herman zusammenarbeitet. Sergios Arm reicht mit Tohru Nakamura im Münchener “Geisels Werneckhof” und Arne Anker mit Oud Sluis-Fame im Berliner “Pauly Saal” sogar bis nach Deutschland.Jachthafen Cadzand-BadAußenansichtUnd noch einmal Sauce – ein gutes Stichwort. Hat Sergio Herman im Oud Sluis Zitrussäure in komplexen Konstruktionen durchdekliniert, und so ganz nebenbei mit Jonie Boer die niederländische Küche revolutioniert, ist der Ansatz in der familienfreundlichen Strandbude ein anderer. Die Lage im neu erbauten Jachthafen von Cadzand lässt bei AIRrepublic direkt an einen der vielen Strandpavillons an der niederländischen Küste denken – die besten werden sogar in eigenen Wettbewerben ermittelt. Natürlich ist dies nicht irgendeine Strandbude: Die hier servierte Brasserie-Küche mit zeeländischen Produkten legt den Schwerpunkt auf Fisch und Meeresfrüchte. Diese und andere Gerichte werden ohne viel Schnickschnack serviert. Eine traditionelle Küche, die an Sergios Wurzeln erinnern soll – und ab und an blitzt dann doch noch die typische Handschrift auf. Viele der Gerichte standen auch schon beim Vater des Meisterkochs auf der Karte im familiengeführten Oud Sluis.  Alls die spätere Gourmet-Pilgerstätte noch ein rustikales Meeresfrüchte- und Fischlokal war. Neben dem Restaurant gibt es das easy going Tagescafé AIRcafé für die hungrigen und durstigen Strandurlauber und -wanderer mit Terrasse und Mitnahmemöglichkeit.AirRepublic KücheAirRepublic InterieurUnd natürlich brummt es in der Strandbude mit offener Küche und großem Bar- und Anrichtetresen. Große Tischgesellschaften überraschend junger Gäste, Familien, ältere Pärchen; zumeist Niederländer oder aus dem nahen Belgien, Deutsch ist nicht zu hören. Die Stimmung ist lebhaft, die einen Gäste kommen elegant gekleidet, andere sind auf den Strandtag zuvor oder danach eingerichtet. Irgendwo dazwischen liegt auch die Inneneinrichtung des lichtdurchfluteten Raums mit blanken Holztischen mit Beinen aus Schiffeisen, Sergios Stühlen, die man erwerben kann (der einzige Personenkult) und Bänken, bezogen mit Stoff aus Fallschirmen – lässig eben. Das Essen kommt in Sergio Hermans Serax-Linie “Surface” auf die Tische und wird mit dem dazugehörigen Besteck gegessen. Der Champagner wird in Schalen (!) serviert, der Wein – die Weinkarte ist fair kalkuliert – kommt später in ziemlichen Humpen. Dazu können schon erste Kleinigkeiten wie Krabbensuppe, Räucheraal oder Austern geordert werden. Die Kleinigkeiten locken zwar, doch mit der urklassischen Speisefolge aus Vorspeise, Hauptgericht und Dessert ist man bestens bedient und kommt anschließend nicht um einen Spaziergang oder eine Siesta herum.AiRrepublic Fischsuppe Oud Sluis AiRrepublic Gazpacho MackerelJetzt bekommt das Kind doch wieder Lust auf Essen. Auf die diversen Muscheln in der Fischsuppe ‘Oud Sluis’. Kein Problem, denn es ist reichlich Einlage in bester, saftiger Qualität vorhanden. Die Suppe ist kräftig gewürzt, aber an keiner Stelle überwürzt. Da braucht es die Kartoffel darin nicht unbedingt und das Knusperbrot sowie die mayoartige Sauce Rouille werden nicht benötigt. Später natürlich zusammen verspeist – soll ja nix umkommen.

Bei Gazpacho, Makrele, Wassermelone und Sellerie gelingt spielerisch leicht, was viele probieren und sich dabei abmühen. Eine Fingerübung aus Kühle, Frische, feinem Säurespiel und hervorragendem, prägnantem, festem Fisch. Dieses Gericht trägt an diesem Mittag am stärksten die unverkennbare Handschrift des Meisters.AIRrepublic Brill BBQAIRrepublic Holstein BBQ, vegetable salad, bearnaise, fries

Wie der Kabeljau ist auch das erste Hauptgericht, Glattbutt BBQ mit mediterranen Gemüsen und Hummer Sauce béarnaise, aufgebaut. Saftig an der Gräte gegart steht das beeindruckende Stück im Mittelpunkt und wird von einer intensiven Sauce begleitet. Wider besseren Wissens findet zu viel den Weg auf den Löffel und in den Mund. In einer Muschelnudel liegt das elegante Ratatouille, mit Rauchpaprika gewürzt und tomatisiert.

Genug gekräuterte Buttersauce gibt’s auch beim Holstein-Rind BBQ mit Gemüsesalat, Sauce béarnaise und Pommes frites. An den Pommes – Frittieren gelingt wie in nahezu jedem Strandpavillon ausgezeichnet – blieb die Schale. Das ist rustikal und sorgt für mehr Kartoffelgeschmack. Das “gute Gewissen” stellt ein vielschichtiger Salat aus Gurke, Eisberg, Tomate, Möhre, Radieschen und herben Wildkräuter in einer Vinaigrette mit Senfsaat dar. Ein kühlend, knackiges Element in dieser wuchtigen Zusammenstellung. Dass all das wunderbar schmeckt, muss nicht extra erwähnt werden, oder?  Dann schon eher, dass die Preise – Fisch 48 Euro, Fleisch 49,50 Euro – angemessen erscheinen.AIRrepublic PavlovaHey, Desserts gehen noch, zwei sogar, schließlich sind wir bei Süßkram erst recht zu dritt. Die Pavlova mit Himbeeren und Pistazien ist hübsch anzuschauen und schmeckt gut, weil die Frucht schön herausgearbeitet und die nach einer Ballerina benannte Sahnetorte ihrer Mächtigkeit beraubt wurde. Lediglich die Hülle aus Baissermasse ist ein wenig zu sperrig.

Manchmal gilt: je einfacher, desto mjam. So gefällt die Dame Blanche mit ihrer Dreifaltigkeit aus köstlichen Vanilleeis mit ein wenig Knusper, einer betörenden lauwarmen Schokoladensauce und einem Kleks Sahne mit Schokostreuseln. Dieses einfache Dessert, hierzulande als Coupe Dänemark bekannt und beliebt, funktioniert, weil alle Zutaten nahezu unschlagbar perfekt sind. Es darf eben manchmal einfach nur lecker sein.

Das gilt eigentlich für den gesamten Besuch im AIRrepublic. Es geht einfach und zugänglich zu, üppige Portionen mit einem Fokus auf ausgezeichnete Produktqualitäten stehen im Mittelpunkt – und ab und an blitzt dann doch noch die typische Handschrift auf. Die Gerichte sind präzise zubereitet. Wunderbar ist, ausreichend zum Schwelgen auf dem Teller zu haben, und dass richtig viel Sauce für einen Nachschlag wartet. Mit dieser Art der Küche liegt Sergio Herman im Trend. Bei aller feinziselierter, avantgardistischer Küche wünscht sich so mancher wohlschmeckende und wohltuende Einfachheit. Kein Problem, wenn sie so gut ist. Schön also, dass es die Wahl zwischen Kopfküche und Bauchküche für den Gast gibt.

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