Akazienhof, Duisburg
Auf geht’s in den Akazienhof. Also mal schnell die Assoziationen zu Duisburg abklopfen. Tatorte mit Horst Schimanski, das Loveparade-Unglück, der weltgrößte Binnenhafen, der einst ruhmreiche Meidericher SV, vielleicht noch der imposante Zoo und natürlich die aussterbende Spezies der Stahlkocher, die in der Eisen- und Stahlhochburg an den die Nacht erhellenden Hochöfen spektakulär ihrem heißen Job nachgehen. Der Strukturwandel, das Ende der Montanindustrie, macht der Stadt in der Metropolregion Rhein-Ruhr gewaltig zu schaffen. Die Bevölkerung ist auf unter 500.000 Einwohner geschrumpft, die Arbeitslosenquoten ist eine der höchsten im Westen und vor manchen Problemstadtteilen kapituliert selbst die Polizei beinahe.
Dabei vergisst man schnell, dass Duisburg auch etwas zu bieten hat. Den umgestalteten Innenhafen mit Gastronomie und Museen, den Landschaftspark-Nord, dieses zu freizeitidyllischer Industriekultur gewandelte ehemalige Hüttenwerk sowie durchaus angesehene Hochschulen. Oh, Essen kam in dieser Aufzählung bisher gar nicht vor…Denn Essen, geschweige denn Kulinarik, kommt einem nicht sofort in den Sinn, denkt man an Duisburg. Da ist es doch eine gute Idee, beim auf dem Papier besten Koch der Stadt einzukehren. Im Akazienhof im Duisburger Stadtteil Hochfeld kocht mit dem 51-jährigen Günter Rönner seit sieben Jahren ein Koch, der längst noch nicht zum alten Eisen gehört und, anders als viele Hochöfen, noch brennt. Jemand, der sich, wie es eigentlich sein sollte, aber nicht immer ist, für das interessiert, was kulinarisch rechts und links von ihm passiert. Der wie ein junger Küchenchef Facebook und Instagram bespielt und – soviel sei vorweg genommen – dessen Tellern man das gesetztere Kochalter des Chefs nicht ansieht.
Günter Rönner lernte nach einer Ausbildung zum Konditor das Kochhandwerk im Breidenbacher Hof in Düsseldorf, damals eine der kulinarischen Top-Adressen der Landeshauptstadt. Nach vielen Stationen, davon in einigen Sternehäusern, wie dem ehedem mit zwei Sternen bedachten Da Gianni in Mannheim, und verschiedenen Küchenchef-Positionen freut sich Rönner aktuell über 16 Punkte im Gault Millau – und seine Hoffnung auf einen Michelinstern ist noch nicht ganz erloschen. Los geht’s zum 2013er Rieslingsekt von Mohr aus dem Rheingau mit den Snacks. Ein mit Glenn Douglas-Lachs, Kichererbse, Sumach und Salzzitrone gefülltes Röllchen schmeckt angenehm zitronig und knusprig, der softe Paprika-Marshmallow gefällt mit marmeladigen Paprikanoten, die nicht zu süß geraten und ebenso schnell verschwindet der schwarze Reiscracker mit Passepierre im Mund.Als Amuse-Gueule kommt Makrele, Bete, Apfel und Gurke auf den Tisch. Zum gebeizten, gegarten und abgeflämmten Fettfisch beweist Rönner Mut zur Säure. Das passt zu der stringenten Kombination aus Frische und Knackigkeit gut. Das Abflämmen der Apfelstücke braucht es wie auch den kleinen Chip – ohne dass es negativ ins Gewicht fällt – nicht zwangsläufig. Guter Auftakt.Das hier Geschmackstheater genannte Menü startet mit Weißer Thunfisch, Portulak, Nigella, Sesam. Rund um die als Tataki – scharf anbraten, heruntergekühlen, in Sesam wälzen – zubereiteten prächtigen Stücke Thunfisch ist eine Aufforderung zum Würzen und Ausprobieren versammelt. Vielleicht bräuchte es nicht jedes Element, der im Prinzip gezügelten asiatischen Einfassung (Soja, Miso, Wasabi-“Kaviar”), doch gerät es nicht plakativ, sondern schmeckt ausgezeichnet. Dazu kombiniert der sympathische Restaurantleiter und Sommelier Christian Soltys, vormals Nelson Müllers Schote, mutig einen trocken Sherry Manzanilla Papirusa von Lustau salzigen Anklängen. Diese Duisburger Antwort auf Sake ist eine wunderbare Begleitung.Nach dem eher leichten und frischen Auftakt, geht es mit geräuchertem Bio-Ei, Rosenkohl, Pastinake, Petersilie, Nuss süffiger weiter. Doch erneut sorgt pointiert eingesetzte Säure für einen guten Gegenpol. Daneben gelingt das Gericht besonders gut, weil die Küche sich auf die natürlichen Texturen der Zutaten verlässt. Die herben Rosenkohlblätter werden von der Süße des Eigelbs und der Pastinake gepuffert. Das Ei hat zwar 72 Stunden im kalten Rauch verbracht, ist aber zur Aromenintensivierung mit geräuchertem Malto getoppt. Sehr schmackhaft!
Ungestopfte Entenleber, Quitte, Miso, Stängelkohl ist eine äußerst delikate Kombination. Dabei funktionieren gerade Quitte und Miso hervorragend zusammen. Ein Tick weniger der intensiven Entenjus würde auch genügen. Ansonsten einfach gut.
Ein eher sanftes Gericht wäre Rebhuhn, Pistazie, Hokkaido, Kokos, rote Zwiebel wenn die klassische Sauce nicht sehr stark reduziert wäre. Sie schmeckt – vorausgesetzt man dosiert wie auch beim Zwiebelpulver vorsichtig – durchaus, aber bringt sie ein wenig zu viel Säure und Schärfe mit und zu wenig an Differenziertheit. Zum dritten Mal hat die Küche nach dem Apfel bei der Makrele, der Pastinake bei der Leber beim Kürbis für kräftige Röstaromen durch Abflämmen gesorgt und wiederholt ein getrocknetes, pulverisiertes Element (es folgen noch weitere) eingesetzt – bei diesen Techniken wäre insgesamt ein bißchen weniger mehr. Für den Gesamteindruck spielt das eine untergeordnete Rolle, denn mit dem ausgebackene Keulenfleisch sowie den exotischen Anklängen der passenden Kombination von Kürbis und Kokos ist das ein gelungener Gang.
Großer Dank gilt der Küche, die kein Sorbet, sondern einen Rotkohl-Shot mit Sternanisschaum schickt. Dieser ist die schön heiße, angenehm proportionierte und geschmacklich süßliche Gewürzessenz des Wintergemüses. Und sie wirft zwei Fragen auf: Warum soll man dann für den Rotkohlgenuss eigentlich noch kauen und – viel wichtiger – warum nicht öfter Suppe, gerade anstelle von Sorbet? Kämen nicht noch mehr Gänge, wäre die Forderung nach Nachschlag gewiss gewesen.Der Fleischgang, den man im Akazienhof ohne weiteres Hauptgericht nennen kann, wird in zwei Gängen serviert. Teil eins ist Ossobuco vom Hirsch, Apfel, Sellerie, Holunderbeeren. Günter Rönner hat aus dem Fleisch um den Hohlknochen der Hachse ein herrlich intensives und zartes Schmorgericht zubereitet und in dünne Selleriescheiben eingeschlagen. Da fragt man sich glatt, was sonst mit diesem Fleisch passiert, da zumeist Rücken und Keule zu den begehrten Zuschnitten gehören. Mit wiederum sehr konzentrierter Sauce und dem Sellerie ist der Gang eine wahre umami-Bombe, die aber nicht explodiert, sondern kulinarisch erfolgreich von pikanter Pfeffernote und den säuerlichen Fruchtakzenten entschärft wird. Schön auch, dass den Gästen das Knochenmark, je nach Blickwinkel, nicht vorenthalten beziehungsweise zugemutet wird. Toll!
Der zweite Akt des Hauptgerichts ist mit Hirschrücken, Wintertrüffel, Lauch der wahrscheinlich puristischste Gang des Menü. Das Fleisch ist sehr gut gebraten und hat durch die Kruste und die Garungsnuancen bis zum beinahe blutigen Kern einen abwechslungsreichen Wildgeschmack. Der erdige Trüffel und die grünen, scharfen Noten des Lauchs sind einfach passende Begleiter, die beim Essen durchaus Assoziationen an das Unterholz, durch das einst das stolze Tier streifte, hervorrufen. Von dem kleinen Klecks Joghurt auf dem Stück Lauch hätte es gerne mehr sein können, weil das Milchprodukt als kühlender Kontrast oftmals, siehe Lieblingsgrieche Malathounis, prächtig funktioniert. Insgesamt sehr gut.
Auch beim Käse macht sich die Küche zusätzlichen Aufwand und serviert Reblochon mit “Waldorf-Salat”. Für den Puristen tut es auch ein perfekt gereiftes und temperiertes Stück Käse. Allerdings ist die Begleitung von Apfel, Sellerie und Nuss einem Feigensenf oder ähnlichem immer vorzuziehen.Wie eingangs erwähnt, ist der Küchenchef ebenfalls Konditormeister. So verwundert nicht, dass Tanariva “Grand Cru”, Schokolade, Hibiskus, Flugmango ein ausgezeichnetes Dessert ist. Das leichte Schmelzen des Eis’ geht auf die Kappe des etwas zu behäbigen Fotografen. Vom Eis verdeckt ist die delikate Schichtschnitte, die anderswo weniger bodenständig als Millefeuille annonciert worden wäre. Lange hat Milchschokolade nicht mehr so köstlich geschmeckt, wie in diesem Zusammenspiel aus Obst, Süße, Säure und crunchigen Elementen
Da überrascht bei den Petits Fours schon längst nicht mehr der hier betriebene Aufwand, der sich in BBQ-Watte, Vanille-Birnenschaum, einem Espresso-Riegel und einer Nougat Créme Brûlée niederschlägt – und auf den endgültig erreichten maximalen Sättigungsgrad.
So, hätten wir das also geklärt und somit das Wichtigste vorab: In Duisburg kann man beruhigt Essen gehen. Basierend auf (s)einem klassischen Fundament baut Günter Rönner seine moderne und abwechslungsreiche Küche auf. Im Akazienhof schmeckt es gut, weil Rönner sein Handwerk versteht.
Darauf könnte er sich ruhig noch mehr verlassen und auf ein paar Spielereien, wie das etwas überstrapazierte Abflämmen und Pulverisieren verzichten. Erfreulicherweise wirkten die Gerichte des Menüs im Vergleich zum optischen Eindruck aus den sozialen Medien vor einiger Zeit schon deutlich aufgeräumter und weniger wild kombiniert. Es geht bei aller Farbenfrohe natürlich zu.
Bemerkenswert ist, dass bei dem Aufwand, der hier sechs Tage die Woche mittags und abends, betrieben wird, neben dem Küchenchef nur zwei Azubis in der Küche stehen. Für Rönner scheint es keinen Stillstand zu geben und er beschäftigt sich schon wieder mit den nächsten Schritten: noch mehr regionale Produkte und noch mehr Rücksichtnahme auf Ernährungsformen und Unverträglichkeiten. Eine Tour in den Pott lohnt sich also weiterhin.