Nenio, Düsseldorf
“Because something is happening here / But you don’t know what it is / Do you, Mister Jones?”, fragte Bob Dylan in Ballad Of A Thin Man. Das ist jetzt weit hergeholt, aber hätte er mir diese Frage in Bezug auf Düsseldorf gestellt, hätte ich eine Antwort parat. Tja, irgendetwas passiert hier im Dorf und ich weiß, was es ist. Beinah binnen eines Monats gab es eine interessante Neueröffnung nach der anderen. Volker Drkosch ist mit seinem Bread & Roses wieder aufgetaucht, Alexandre Bourgueil mit seinem Bistro Fatal zurückgekehrt und Bastian Falkenroth hat seine gastronomischen Unternehmungen um das Nenio erweitert.Vergleiche hinken und ebenso wie sich Mister Dylan auch mit nunmehr 75 Jahren auf dem Buckel nicht über eine kulinarische Bestandsaufnahme der Landeshauptstadt informieren wollte, sind Rufe à la “Wie das Nobelhart & Schmutzig!” oder “Der macht jetzt auf Kevin Fehling!” in Zusammenhang mit dem Nenio unpassend. Nur weil es in Berlin und Hamburg auch eine Theke gibt, an der die Gäste zum Essen und Trinken Platz nehmen, bleiben es Restaurants völlig anderer Couleur: bei den einen ist es brutal lokal, bei dem anderen hochkomplexe Dreisterneküche in recht spektakulärem Ambiente.Zurück zum Nenio: An der in U-Form um einen kleinen Küchenblock gebauten Theke finden bis zu 15 Personen Platz. Das Nenio erhebt die Exklusivität eines Chef’s Table, der schon zuvor in Falkenroths Küche zum Inventar gehörte, zum Konzept. Dafür wurde von der großen Küche ein Bereich abgetrennt. Der Rest der großen Küche dient noch immer zur Vorbereitung und beschickt vor allem das Café Uhlenbusch (tagsüber) und das weiterhin betriebene U.das Restaurant (abends). Im neuen Teil halten schwere Vorhänge die Lichter der Großstadt und neugierige Blicke fern. Das dunkel gehaltene und schummerig beleuchtete Interieur lässt ein wenig – etwas überspitzt formuliert – Dark-Room-Feeling aufkommen. Ich hätte es gerne heller. Klar, zum Fotografieren (ein Hoch auf Adobe und besonders weil ich mein Essen in allen Details sehen mag. Vielleicht soll diese Abschottung gegen äußere Einflüsse und Ablenkung auch die Fokussierung unterstreichen, die der immer noch junge Küchenchef anstrebt. Auf das Produkt, den Wein und die Kommunikation und Interaktion mit dem Gast. Gerade die Hauptdarsteller auf den Tellern sind exklusiver als zuvor im U. Die Freude an “Luxus”produkten ist nachvollziebar: Falkenroths Karriere ist geprägt von der Spitzengastronomie. Nach einer Kochausbildung in Düsseldorf im Berens am Kai ging es über das Kölner Le Moissonnier zu Thomas Bühner, bei dem er erst im La Table in Dortmund und dann im Osnabrücker La Vie kochte. Nach zwei Jahren als Küchenchef in der K&K Kochbar in Hamburg bildete sich Falkenroth in Los Angeles zum Sushi-Koch fort. Nach seiner Rückkehr war er für eineinhalb Jahre Souschef von Nils Henkel in Lerbach und anschließend Küchenchef bei Patrick’s Seafood No. 1 in Düsseldorf. So jemand möchte zeigen, was er kann und steht im Zweifel auf Luxusprodukte oder anders gesagt setzt das Konzept des U’s konsequenter um. Es gibt ein festes Menü, dabei ist die Deckung des H2O-Bedarfs vorbildlicherweise im Preis inkludiert. Das Menü besteht aus sechs Gängen, zwei Bockmacher genannten Amuse gueule-Happen und einer Lieferung Brot, die zurecht wie ein siebter Gang zelebriert wird.Los geht es zum Riesling Sekt von Peter-Jacob Kühn und beim Durchwischen der Weinkarte mit besagten Bockmachern: Okonomiyaki, Babycalamaretti, Chinakohl und Ente, Chicorée, Hoisin. Wem beim Lesen des Menüzettels die Richtung, in die es geht, nicht klar ist, wird nach den beiden Kleinigkeiten mit Schmackes grob Asien auf dem Schirm haben. Der auch japanische Pizza genannte Teigfladen aus Wasser, Kohl, Mehl, Ei und Dashi ist ein gerne zu Trinkgelagen gereichtes japanisches “Fastfood” und somit gewiss eine gute Grundlage für den weiteren Abend. Schmeckt gut und kann es locker mit der japanischen Konkurrenz auf der Klosterstraße im “Little Tokyo” aufnehmen. Die andere Kleinigkeit bringt eine chinesische Essenz aus geschmorten Fleisch und der süßen, kräftigen Ferment-Sauce zu einer pastösen, sehr würzigen Crème zusammen, die durch den Bittersalat nur ein wenig aufgelockert wird.Dass das Gute auch vor der Haustüre zu finden ist, zeigt Falkenroth mit Brot und Butter vom Ziegenbauer Nilgen-Schmitz aus dem nahegelegenen Korschenbroich. Das fluffige Naan-artige Brot säuert Ziegenquark und die leicht gesalzene Butter hält angenehm die Balance zwischen Cremigkeit, animalische Noten und Stallgeruch. Toll.Schon der Fettdruck auf der Karte macht deutlich, wer bei Färöer Bio Lachs, grüner Spargel, BBQ-Yuzu der Star auf dem Teller ist und auch die Dimensionen unterstreichen dies: der Fisch aus den kühlen Gewässern des Nordatlantik, wo besagte Inselgruppe liegt. Das stattliche Stück zog bei niedriger Temperatur gar und zerfällt abgekühlt saftig auf der Zunge. Für Raucharomen sorgt der geräucherte Grünspargel, der in Summe eher grün schmeckt, aber noch als typisch nach Spargel. Originell ist die Verwendung der Kurztriebe auf dem Fisch, die als knackig-herber Kontrast zur weichen Textur des Fisches und der ausgeprägten Süße der mit Yuzusaft aromatisierten Grillsauce stehen. Guter Start.Fleisch ist nicht Höhepunkt eines Menüs und muss deshalb nicht immer als Hauptgang zelebriert werden. Das sieht offenbar auch Bastian Falkenroth so. Jetzt ist auch noch die Aufnahmefähigkeit da, um die subtilen käsig-buttrigen Noten des nur scharf angebratenen und mit japanischem Bergpfeffer und Salz gewürzten Fleisches aus niederländischer Zucht bei Flanksteak vom Wagyu, Schwarzer Knoblauch, Ponzu wahrzunehmen. Das Fleisch ist recht mild, hat aufgrund des Cuts einen gewissen Biss und ringt ein wenig mit der kräftigen, süßen Sauce auf Zitronenbasis, die der japanischen Küche entstammt. Da ist die Konsequenz nur ein paar hauchdünne Kartoffelchips dazuzugeben, allzu schlüssig. Und ich sage jetzt schon, recht mutig.Wobei die Reduktion sich noch weiter auf die Spitze treiben lässt, wie der nachfolgende Gang aus Kaisergranat, Karotte, Erdnuss, Koriander zeigt. Dazu braucht es ein prächtiges Ausgangsprodukt und eine ebensolche Garung – beides ist hier unzweifelhaft gegeben! Der Dipp ist mit seiner süß-fruchtigen und nussigen Cremigkeit und feingehackten Korianderstielen perfekt auf den Kaisergranat abgestimmt, zu dessen milder Süße und feiner Struktur leichte Röstnoten vom Abflämmen kommen. Wunderbar! Über der Schüssel mit Hamachi, Seaweed, Miso, Reissud liegt ein jodiger, beinah fischiger Geruch. Verantwortlich sind die diversen Algen und nicht der japanische Fisch. Mit seinen mineralischen Noten und der gleichsam festen und schmelzenden Struktur kann sich jeder Cobia in seiner Zucht in Panama verstecken. Der in Art eines Sashimi geschnittene Raubfisch nimmt in dem vom Küchenchef an der Theke angegossenen, originellen Sud aus stark angeröstetem und wie ein Aufguss zubereiteten Basmati-Reis ein wenig Temperatur an und gart leicht. Mit der dezenten Aromatisierung durch eine verfreinerte Miso-Paste ist das eine formidable Schüssel, für die die japanische Community eigentlich Schlange stehen müsste.Bei Kabeljau, Fregola, Gulaschsud endet leider der herzhafte Teil des Menüs, dafür mit einem aromatischen Paukenschlag. Nach diesem Finale wäre eine Steigerung der Intensität nicht mehr möglich; der Sud des klassisch angesetzten Sonntagsklassikers geht an die Würzgrenze, wobei nicht Salz, sondern eher eine pfeffrige Säure hervorsticht. Mit ein wenig darüber geriebener Zitronenzeste und Chiliöl sorgt Falkenroth für ein wenig Auflockerung, und ebenso nivellieren die gerösteten Hartweizenkügelchen der Pastaspezialistät aus Sardinien den ersten, kräftigen Eindruck. Der in der Wärmeschublade auf seinen Einsatz harrende und durch Abflämmen finalisierte Fisch kommt mit der Anordnung erstaunlich gut klar und kann sich dagegen geschmacklich behaupten.Jetzt ist es grundsätzlich eine gute Idee, danach die beanspruchten Münder zu kühlen. So wurde bei Fenchel, Apfel, Ingwer aus dem Gemüse ein Baiser hergestellt und schockgefrostet. Das Ergebnis ist kühl und schmeckt leicht anisig, dabei hat es eine interessante Konsistenz. Die Kleckse Apfelpüree und ein wenig Crunch aus Shortbread und weißer Schokolade passen dazu, der Ingwer bleibt blass. Als Pré-Dessert in kleiner Portion ein optimaler Herunterkühler nach dem furiosen Gang zuvor, als einziges Dessert bleibt der süße Abschluss zwar eine nette Idee, aber auch ein wenig blass.Dass es auch ein wenig substanzieller geht, zeigt bei den Petits fours der Quader Opéra, der neben den zwei anderen Kleinigkeiten viel zu schnell verspeist ist.
So endet ein interessantes erstes Menü in der sicherlich mutigsten Neueröffnung der Stadt. Bastian Falkenroth probiert nicht nur beim Sitzarrangement etwas Neues aus, sondern auch auf dem Teller. Das Produkt ist der Star und darum gruppieren sich nur wenige – die Karte listet zumeist drei bis vier Zutaten auf – Unterstützer. Das Ganze wirkt dabei dennoch nicht wie eine pompöse Leistungsschau von Luxusprodukten. Falkenroth hat ein gutes Händchen für die Zubereitung von Fisch und so ist der Schwerpunkt darauf natürlich gut gesetzt. Thematischen Zusammengehalt findet diese Produktküche in einer asiatischen, speziell japanischen Einfassung. Ein wenig zu kurz kommt Gemüse, dass – abgesehen vom Spargel – nur in denaturierter Form eine Funktion als Begleiter hat. So hätte beispielsweise konzeptionell auch ein wenig Grünzeug statt der Kartoffelchips zum Fleisch gepasst.
Der bisherige Sommelier ist abhanden gekommen, ein neuer schon im Anflug und so übernahm der Küchenchef die Weinempfehlung aus der feinen und vernünftig kalkulierten Karte mit 300 Positionen. Es war gut, sich von ihm zu der Flasche Grüner Veltliner “Non-Tradition” von Christian Tschida ungefiltert, 2013, Burgenland, Neusiedlersee statt eines klassischen Großen Gewächses Riesling überzeugen zu lassen. Im ersten Moment waren noch Fruchtaromen in Nase und Mund, wenngleich keine GV-Typizität, kurzzeitig zu spüren. Mit Luft und Wärme wurde der Wein immer vielschichtiger und entpuppte sich mit seinen angenehm zu Tage tretenden Gerbstoffen, der prägnanten, aber gut eingebundenen Säure und der niedrigem Alkoholgehalt als blendender Begleiter des Essens. Bei so einer Flasche zum Durchtrinken macht es Spaß, die Entwicklung im Glas zu verfolgen. Für mich eine positive Naturwein-Überraschung.