Enzo im Schiffchen, Düsseldorf
Als ich einem befreundeten Koch von meinem Besuch im Enzo im Schiffchen mit den Worten “…ganz schön klassisch!” erzähle, lautet seine im ersten Moment überraschende Antwort: “Ich feiere das!”. Er bezieht sich natürlich besonders auf die klassische, von französischer Kochkunst geprägte Küche im Hauptrestaurant “Im Schiffchen” in der bel étage. Mein Besuch im einzigen Zweisternerestaurant Düsseldorf datiert noch aus der Anfangszeit dieses Blogs und sei nur der Vollständigkeit halber und zum retrospektiven Schmunzeln erwähnt.
Von 1987 bis 2006 leuchteten drei Sterne über dem prächtigen, niederrheinischen Barockhaus im dörflichen Fleckchen am Rhein. Und zeitweise gar vier, als auch noch das Zweitrestaurant einen Stern erhielt und das Schiffchen zeitweilig zum höchstbesternten Etablissement in ganz Europa machte! Von einst 18 Punkten im Gault Millau sind schlappe 16 übrig geblieben – doch wer nimmt dieses Pamphlet außer aktuell zu ihrer Zufriedenheit Prämierten überhaupt noch ernst?! Das Enzo wird dort gar nicht bewertet, was nicht am Zweitrestaurant-Charakter liegen kann, denn beispielsweise wird Karl-Emil Kuntz’ rustikale Pfälzer Stube in Herxheim-Heyna neben dem Gourmetrestaurant Krone wiederum aufgeführt.Jean-Claude Bourgueil eröffnete das Enzo bereits 2012. Namensgeber ist Restaurantleiter Enzo Caso, der auch mit den Anstoss zu dieser neuen Küchenrichtung gab und nun den Gastgeber gibt – molto italiana, versteht sich. Der schmale, wie ein Schiffsrumpf ausstaffierte Erdgeschossraum war schon immer eine erfolgreiche Spielwiese des Altmeisters. Einst beheimatete er den Aalschokker, wo in einer Zeit, zu der niemand auf diesem Niveau darüber sprach, deutsche Küche serviert wurde. Darauf folge das weltläufigere Bistro Jean-Claude. Zum ohnehin leicht maritimen Charakter gesellen sich jetzt italienische Malereien und dezente Dekoration. Der an diesem lauen Abend nicht benötigte Ventilator wirkt auch wie ein aus Süditalien importiertes Zitat.
Gerade durch sein Kochbuch Typisch Deutsch fühle ich mich dem mittlerweile 69-Jährigen Patron Jean-Claude Bourgueil verbunden. So widmet er sich darin, bevor es in Mode kam, (einer Verfeinerung) der deutschen Küche und ist sich auch nicht zu fein, die durchaus existierenden und nicht zu verachtenden Wurzeln zu suchen und zu dokumentieren. Ein größeres Kompliment als Nachkochen kann ich einem Kochbuch nicht machen: Mindestens einmal im Jahr versuche ich mich an seinem Sauerbraten nach der Modena Reise und produziere den “vermutlich besten Rotkohl der Welt”.
Meine erste Reaktion beim überraschenden kulinarischen Schwenk war “Nicht noch ein Italiener!”, schließlich ist Düsseldorf von der stets populären Italo-Gastronomie dicht besiedelt. Von deren teilweisen kulinarischen (Ab)Gründen und der Selbstverleugnung soll hier jetzt nicht die Rede sein. Denn es an der Zeit, sich ein Bild vom Enzo zu machen.Zum Aperitivo kommt erst einmal eine Version eines der wahrscheinlich bekanntesten italienischen Gerichte auf den Tisch: Pizzetta al tartufo, eine kleine Pizza mit Taleggio und Trüffel. Der Teig ist sehr knusprig und nicht nur deshalb erinnert die Köstlichkeit etwas an Flammkuchen. Die Kombination aus dem intensiven Käse und durch Wärme und Fett aromatischen Trüffel lässt uns beinahe nach einem Exemplar mit 28 Zentimetern Durchmesser fragen.Als Amuse-Gueule, pardon, korrekter Stuzzichino, erreicht uns Tagliata di manzo. Eine dickere Scheibe Rindfleisch mit Trüffel, die mit ihrer Carpaccio-Ähnlichkeit einen Antipasto-Klassiker zitiert. Die Kleinigkeit ist gut, nicht wahnsinnig spektakulär und wird all diejenigen, die Trüffelgeschmack nur von ihrem mit dem unsäglichen Trüffelöl herumhantierenden Lieblingsitaliener kennen, zur Riesenenttäuschung. Denn so wie hier als pilzig-erdige Untermalung schmeckt nun einmal der Edel-Tuber in ungepimpter Reinform.Zuletzt hatten wir in Südtirol bei Gerhard Wieser in der Trenkerstube und bei Peter Girtler in der Gourmetstube EInhorn zurückhaltend bis drastische Dekonstruktionen von Vitello tonnato genossen. Bei Bourgueil geht es in dieser Hinsicht moderat zu, was nicht heißt, dass es nicht sehr gut schmeckt. Die Aromen des Originals sind da, nur nicht in Form eines Mischgeschmacks. Wo anderorts dröges Fleisch von einer mächtigen Thunfischcrème wieder verzehrfertig und schluckbar wird, fällt im Enzo besonders die sehr präsente Scheibe Fleisch auf, die eine knoblauchige Würzkruste bereichert und die differenzierter begleitet wird. Mit ein wenig Crème, etwas Thun-Tartar und einem Stückchen geröstetem Brots geht es sogleich weniger eindimensional und dafür spannender zu. Vielleicht der italienischste und beste Gang des Abends.Sehr fein und natürlich ist auch Dentice marinato al limone di Amalfi, finocchio e cipolle di Tropea, die marinierte Zahnbrasse mit Amalfi-Zitronen, Fenchel und Tropea-Zwiebeln. Über dem ganzen Gericht schwebt olfaktorisch die süditalienische Zitrusfrucht. Auch geschmacklich prägt ihre aromatische Säure den Gang. Als Bindeglied zwischen dem zart schmelzenden Rohfisch und dem knackigen Gemüse mit seinen präzisen, süßlichen Zwiebelnoten fungiert eine leichte Burrata-Crème. Im Fokus stehen hier zwar Produkte vom Stiefel, aber ob Italien oder Frankreich – das schmeckt hauptsächlich nach Urlaub am Meer!Wenngleich die Parmesanchip und die intensive Füllung des hauchdünnen Eiernudelteigs bei Vellutata di asparagi verdi, parmigiano „Vacche rosse“ e cappelletti di faraona „Regina“, einer leichten Velouté vom grünen Spargel mit Parmesan „Vacche rosse“ und Cappelletti vom Perlhuhn, eine italienische Prägung nahelegen, schmeckt dieser flüssige Gang klassisch französisch; schon allein, weil er sich an Bourgueils signature dish “Leichte Velouté mit grünem Spargel mit schmelzendem Störschaum” abarbeitet. Auch wenn es nicht zu mächtig zugeht, dominert geschmacklich ein sahnig-butteriger Geschmack, der alle anderen Aromen eine Nebenrolle zuweist. Das erinnert an “früher”: Schmeckt köstlich, ist aber etwas vorhersehbar. They don’t make them like that anymore…Als hätte die Küche unser Tischgespräch belauscht, schickt sie ein “Ach, Ihr wollt’s italienischer?-Intermezzo. Und wir müssen aufpassen, uns vor Gier nicht den Mund zu verbrennen: Denn typischer als die Gnocchi alla romana geht es kaum. Das dezent mit Käse gratinierte Griesteilchen ist fluffig und aromatisch – perfekt. Dass sich dazu, quasi “alla sorrentina”, eine auf Tomatenmark-Intensität eingekochte, gekräuterte Tomatensauce mit Basilikum gesellt, die aber weit genug von Mirácoli-Penetranz entfernt ist, können wir als Tedeschi akeptieren, bei traditionsbewußten Italienern führt es möglicherweise zu Diskussionen. EInfach köstlich!Mit Conchiglioni farciti all‘ astice, gambero e salsa al dragoncello, Conchiglioni mit Hummer und Garnele in Estragonsauce, geht es regulär mit einem weiteren Zwittergericht weiter. Die Produkte können in beiden Länderküchen so auftauchen, die Zubereitungsart (sahnig, mit einem Hauch Safran) ist französischer geprägt als es das italienische Konzept erwarten lässt. Ums kurz zu machen: Es schmeckt köstlich und bei der Nudelfüllung und gerade bei der gebratenen Garnele sehr präzise. So bleibt als einziger Wermutstropfen, dass anstelle des angekündigten Nudelplurals nur eine einzige der großen, muschelförmigen Nudeln aus Hartweizengries unter dem Schaum versteckt liegt.Beim Filetto di Cinghialino di Umbria, cappeletto di castagne e verdure, dem Rückenfilet vom Frischling aus Umbrien, Kastanien-Capppeletto, Kräuter und Gemüse in leichtem Jus, sind dafür entgegen der Ankündigung zwei der gefüllten Eierteigwaren auf dem Teller. Gut so: Entgegen dem ersten herbstlichen Geschmackseindrucks gibt die an Rosinen erinnernde Süße dem Gericht ein Tick Sizilien mit auf den Weg. Bei der Saucenkunst liegt Frankreich naturgemäß in Führung. Dass das Gemüse-Potpurri nicht brillant ausschaut, hat hier – wie sooft – nichts mit dem Geschmack zu tun, denn jedes Element ist auf den Punkt gegart und aromatisch.Ich hatte ein wenig Kapazitätsbedenken, als Tortino di lamponi su una crema al gorgonzola e sorbetto allo spumante Ferrari, das Himbeertörtchen auf Gorgonzolacrème mit Spumante Ferrari-Sorbet, vor mir stand. Aber diese Bedenken entpuppen sich als unbegründet. Zum einen spielt der Baisser-Untergrund mit Leichtigkeit mit, zum anderen schmeckt die Kombination aus Himbeere und Blauschimmelkäse so vorzüglich und das zitronig-herbe Sorbet erfrischt bei jedem Bissen. Sieht ungewöhnlich aus und hält ungewöhnlich originell die Spannung.“Mon Cheri” und Piccola pasticceria, ein fluffiges Gebäck, das etwas am Gaumen klebt, bilden den süßen Abschluss. Bourgueils Version überholt das Original mit der Piemont-Kirsche Bourgueils Version locker. Sie trifft den Geschmack und die Textur und toppt die bekannte Süssigkeit mit hochwertigeren Rohstoffen und wirkt somit natürlicher. Auch hier schmeckt es nach “früher”, aber es ist nicht altbacken, sondern eher zeitlos.
Das war ein entspanntes und wohlschmeckendes Menü. Das hatte alles Hand und Fuß. Nein, das Enzo ist kein italienisches Restaurant. Nein, im Enzo ergänzt Jean-Claude Bourgueil nicht nur sein französisches Handwerk um italienische Produkte und Sinneseindrücke. Es geht eher mediterran mit einem deutlichen italienischen Einschlag zu.
Die italienische Küche trennt von der französischen wahrscheinlich genauso viel wie sie eint. Eine der größten Gemeinsamkeiten liegt in der Fokussierung auf Produkte. Wenn eine Küche ein Produkt herausstellt, sollte, ja muss es sich um vorzügliche Qualitäten handeln. Dort wo dann in der französischen Hochküche an Saucen und Kombinationen herumgetüftelt wird – immer basierend auf tradierten Rezepten – ist die italienische Küche gradliniger und vielleicht weniger komplex, aber nicht minder traditionsbewußt und gerade bei Nudelteigen auch fummelig. Und die Italiener verwenden in einem Nord-Süd-Gefälle mehr bis ausschließlich Olivenöl anstelle der Sahne und Buttermassen der französischen Küche.
Genau daran könnten sich Puristen im Enzo reiben. So ganz mag Bourgueil nicht auf eben diese Charakteristika verzichten und setzt sie pointiert als Aromaträger und Abrundung ein. Er beschränkt bei der Stiefel-Küche sich nicht regional und kombiniert aus den verschiedenen Gegenden. Dabei wirkt es mehr aus einem Guss als in vielen italienische Restaurants mit ihrem Allgefälligkeitsanspruch.
Das ist alles nicht modern und manchmal habe ich beim Essen den Gedanken, das schmeckt eine Erinnerung an meine kulinarische Sozialisation. Aber es wirkt nicht altbacken und dahin geworfen. Die Messlatte bleibt am Ende immer der Geschmack – und der überzeugt im Enzo.