Etablissement 1880, Groede, Niederlande
Groede ist ein hübsches, geradezu pittoreskes Dorf in der Provinz Zeeland, die im südwestlichen Zipfel der Niederlande liegt. In der Mitte des rechtwinkligen Marktplatzes steht die von weitem sichtbare Große Kirche. Auf dem Kirchendach signalisierte während des Zweiten Weltkriegs ein großes rotes Kreuz, dass Groede ein Rot-Kreuz-Dorf war. Dadurch blieb zumindest der historische Kern mit seinen flämischen Einflüssen vor den Angriffen verschont.In Groede betreibt seit 2003 das Ehepaar Mariëlla und Danny Jongman ihr Restaurant Etablissement 1880 – mit den immer noch ungewöhnlichen Vorzeichen: Sie verantwortet die Küche, während er den Service leitet und sich um den Wein kümmert. Im vergangenen Jahr ist das Etablissement 1880 auf die andere Seite des Marktes in ein geschmackvoll saniertes Haus gewechselt. Ein unheimlich schönes Restaurant! Aus dem modernen, aber einladend gemütlichen Gastraum kann man dem Küchenteam um Autodidaktin Mariëlla – sie war zuvor Visagistin – bei seinem Tun zusehen. Besser geht das nur vom Chef’s Table in der Küche, an dem Übernachtungsgäste des Morgens frühstücken und bei den Vorbereitungen zuschauen können. Denn beim Umbau sind zwei individuelle Suiten entstanden.Viel auswählen müssen wir außer den Getränken und der Anzahl der gewünschten Gänge nicht. Denn es gibt nur ein Menü mit zwei bis vier Gängen, wahlweise mit Fisch oder Fleisch im Hauptgang. Daneben kann das Dessert für einen kleinen Mehrpreis gegen Käse getauscht werden. Begründet wird die Beschränkung auf ein übersichtliches Angebot mit der Frische, Kreativität und der Saisonalität der verwendeten regionalen Zutaten. Dazu später mehr. Wenig überraschend also unser Entscheidung: Natürlich volles Programm und eine Flasche Trimbach Riesling Cuvée Frédéric Emile 2006 aus dem Elsass, bitte.
Wir starten mit Loempia mit Black Tiger-Garnele und Curry-Mayonnaise als kleinen Snack zum Aperitif, der heute mal der gewählte Weißwein ist. Frittieren können sie einfach in den Niederlanden und Frühlingsrollen gehören hier ohnehin zum Snack-Alltag. So schmeckt auch diese verfeinerte Edel-Variante dementsprechend gut.Es folgt mit Räucheraal mit Grilltomate und einer Focaccia mit Tomate und Mimolette ein Gruß aus der Küche. Der geräucherte Fettfisch ist im Zusammenspiel mit der gegrillten Tomaten geradzu pikant und vereint köstlich Säure, Schärfe mit den Rauch- und Grillnoten. Die knusprige Kleinigkeit bleibt danach ein wenig blaß.Das Menü startet mit Kalbstatar, Kartoffelsalat, Pickles-Espuma, Zwiebel und Gänseleber. Es bietet sich an, mit der Gabel durch den Teller zu fahren, um von allen Komponenten etwas einzusammeln und dann mit der Leber zu würzen. Die Leber übernimmt ein wenig die bindende Rolle des Eigelbs bei einem klassischen Tatar. Der Menüstart schmeckt sehr natürlich, ist aber durch Vielschichtigkeit durchaus spannend. Dabei helfen ein Würzpulver aus ausgelassenem, knusprigen Speck mit Panko und das Süße-Säure-Spiel der delikat eingelegten Zwiebel und der Mixed Pickles. Feiner Auftakt.Diese Spannung fehlt bei Wachtel-Cannelloni mit Sellerievariation und gepufftem Reis. Das Problem ist, dass der spezifische Fleischgeschmack des Federviehs überhaupt nicht wahrnehmbar ist. Daneben herrscht trotz des Reis’ und der Selleriekrokette etwas zu viel Cremigkeit. Erst mit einem Schluck Wein nimmt diese grundsätzlich ja gut schmeckende Kombination Fahrt auf: Der Wein wird vom Geschmack und auch der Cremigkeit auf ein erhöhtes Genussniveau gehoben und es ergibt sich eine befriedigende Kombination.Da ist der Glattbutt mit Kürbis-Risotto und Fischfumet deutlich präziser und aussagekräftiger. Der Fisch blieb beim Braten schön saftig. Die Röstnoten fallen auch nicht als rustikal, sondern als Gegenpol zur eher süßlich-herbstlichen Begleitung aus.
Noch besser gefällt das US-Black Angus-Entrecôte mit Artischocke und Süßkartoffel. Dieser Hauptgang ist herb-“männlich” angelegt, woran natürlich die Bittere der Artischocken (als Stücke, frittiert und püriert zubereitet) und das intensive Fleisch ihren Anteil haben. Das federt die Süße der Batate wohltuend ab. Auf den Punkt!Den reichhaltigen Käsegang mit einer guten Auswahl begleitet eine Reihe von Beigaben, die ich nicht nicht unbedingt brauche. Allerdings schmeckt im Etablissement 1880 die pikante Nussmischung nur allzu süchtigmachend.
Ein Highlight ist zum süßen Abschluss der Cheesecake mit Blaubeeren, Buttermilch-Eis und Pistazie. Das ist derartig stimmig und schmeckt so gut, wie es klingt und aussieht. Bei aller Substanz bleibt es dennoch angenehm leicht, dass wir hier auch über die volle Distanz mit einem kompletten Küchlein gehen würden – wider aller Vernunft.
Beim Frühstück am Morgen manifestiert sich der Eindruck des Abends. Wir genossen ein gutes Essen und fühlten uns in der entspannten Atmosphäre im nahezu voll besetzten und wie erwähnt hübschen Restaurant äußerst wohl. Man merkte weder den Abläufen noch dem Essen an, dass die Betreiber einst Branchenfremde waren.
Die Beschränkung auf ein Menü finde ich grundsätzlich unproblematisch, wenngleich einem Gang die Präzision fehlte. Ich würde eine Option, die vier Gänge nicht nur reduzieren, sondern eventuell auf fünf oder sechs Gänge zu erweitern zu können. So nah am Meer hätte ich mir noch etwas mehr Fisch und Meeresfrüchte gewünscht, zumal die Küchenchefin bei einem Kurzbesuch im Mai ein feines Händchen für Seafood gezeigt hatte. Bei der Regionalität verwunderte nur der Rückgriff auf US-Beef ein wenig, denn es gibt in den Niederlanden durchaus bemühte Züchter und die trendige, alte Kuh. Da auch viele Einheimische zu den Gästen gehören, ist deren Verlangen nach einem rein holländischen Käseteller wahrscheinlich auch schwächer ausgeprägt als bei mir.
Diese Einheimischen beneiden wir wahrlich, denn so ein Restaurant wie das Etablissement 1880 mit seinen fairen Preisen, toller Atmosphäre und gutem Essen hätten wir auch gerne um die Ecke!