“Gemüse” von Andree Köthe und Yves Ollech
Tief berührt und bis in die Haarspitzen inspiriert verlasse ich als Gast nicht allzu oft ein Restaurant. Daß sich dies im Essigbrätlein auch bei meinem zweiten Besuch wiederholte, liegt zu allererst natürlich am Essen. In ihrem Restaurant in der Nürnberger Altstadt präsentieren Andree Köthe und Yves Ollech eine beispielhafte Gemüseküche. Vermeintlich einfache Viktualien werden in einem kreativen Entwicklungsprozeß zu puren und minimalistischen Gerichten. Deren Genialität liegt darin, alles aus einem Produkt herauszuholen und dabei noch ein großartiges Geschmackserlebnis zu erzielen.
Als ich mich nach dem Essen noch mit den beiden sympathischen Köchen unterhalte, läuft es mir beinah kalt den Rücken herunter und ich muß gerührt schlucken. Denn hier passiert Besonderes. 1999 von Andree Köthe eröffnet, arbeiten im Essigbrätlein seit 1998 zwei gleichberechtigte Köche. Diesen Teamgedanken signalisiert dem Gast schon das Schild am Eingang, auf dem mittlerweile neben den beiden Köchen auch der langjährige, kongeniale Sommelier Ivan Jakir aufgeführt ist. Und wann sagt einem in dieser Testosteron-Branche ein Koch, daß er ohne seinen Kochpartner nichts wäre?
Nicht überall stößt das Restaurant in Gourmetkreisen auf Verständis: Nicht wenige rieben sich im Jahre 2004, als das Essigbrätlein den zweiten Stern erhielt, verwundert die Augen. Statt sich aber auf dem status quo auszuruhen, widmet man sich in der kleinen Küche mit Akribie und auch Radikaliät, aber ohne Dogmen und nervende Didaktik der Gemüseküche und ihrer Perfektionierung,
Im Jahre 2012 erschien mit Gemüse das aktuelle Kochbuch des Duos im Tre Torri Verlag. Darin werden über 50 Gemüse auf je einer Doppelseite mit einem Foto und einer Erläuterung über Herkunft, Inhalt und Verwendung vorgstellt. Danach folgt klassisch ein Rezept mit dazugehörigem Foto.
Auf manchen Leser mag die Farbskala, die die beiden Köche zur Verständigung über Kombinationen heranziehen und die im Buch abgedruckt ist, befremdlich wirken – erläutern beide dieses Konzept, folgt einem Verständnis signalisierem Nicken ein Respekt bekundenes Aha-Erlebnis des Gastes.
Exemplarisch und wegweisend wird von einem Gemüse -ähnlich dem nose to tail eating bei Fleisch- von Kopf über Blätter und Saft bis hin zum Stiel und Strunk alles verabeitet. Neben einigen durchaus ungewöhnlichen Sorten, deren Beschaffung nicht immer leicht sein wird, ist ein Großteil der Zutaten im Alltag ohne Weiteres zu bekommen. Das Tolle für den konzentrierten Hobbykoch bei diesem großatigen Kochbuch ist der hohe Grad der Nachkochbarkeit – wie auch das folgende Gericht, das auf Stefs Tisch kam, beweist:
Kohlrabi mit Mohn
Für 4 Personen
Tonic-Reisessig-Lake
65 ml Reisessig
85 g Zucker
4 g Salz
200 ml Tonic
Reisessig mit Zucker und Salz aufkochen.
Tonic hinzufügen und abkühlen lassen.
Kohlrabigemüse (24 Stunden marinieren)
4 Kohlrabi mit Grün
Tonic-Reisessig-Lake
200 ml Buttermilch
Salz, Pfeffer
Zucker
Saft von 1/2 Zitrone
Am Vortag: Zwei Kohlrabi waschen und trocknen. Die obere Partie mit dem Blattansatz als ca. 1 cm dicke Scheibe abschneiden. Die Blätter bis auf 1-2 kleine Mittelblätter abzupfen und beiseite legen. Den Kohlrabi schälen und die Schale in feine Streifen schneiden. Mit etwas Tonic-Reisessig-Lake in einen geeigneten Beutel geben, sehr fest vakuumieren und die verschweisten Schalenstreifen ca. 24 Stunden gekühlt marinieren. Wer keinen Vakuumierer besitzt, kann auch die Luft, so gut es geht, herausdrücken und den Beutel gut verschließen. Das klappt zur Not auch.
Einen weiteren Kohlrabi schälen und beide Kohlrabi in dünne Scheiben hobeln. Mit einem Ausstecher (5 cm Durchmesser) Kreise ausstechen. Diese mit einigen Kohlrabiblättern in die Buttermilch geben. Mit Salz, Pfeffer, Zucker und etwas Zitronensaft abschmecken, alles zusammen in einen geeigneten Beutel geben, vakuumieren und ca. 24 Stunden gekühlt marinieren.
Am Tag der Zubereitung: Nach Belieben drei Viertel der aufbewahrten Kohlrabiblätter in kochendem Wasser blanchieren und in Eiswasser abschrecken. Die blanchierten Blätter gut ausdrücken, mit den restlichen Blättern und etwas von der Tonic-Reisessig-Lake mixen. Anschließend durch ein feines Sieb geben. Der Sud kann nach Belieben als zusätzliches Element in Form einer Spur auf den Tellern gezogen werden.
Kurz vor dem Anrichten die aufbewahrten zwei “Kohlrabikopfscheiben” und zwei weitere in etwas (leicht gesalzenem) Wasser ca. 4-5 Minuten weich kochen und auf einem Küchentuch abtropfen lassen.
Die beiden verbliebenen, geköpften Kohlrabi anderweitig verwenden.
Mohncreme
4 EL weißer Mohn
150 ml Sahne
Salz, Pfeffer
Zucker
Den Mohn leicht anmahlen und mit der Sahne bei mittlerer Temperatur cremig einkochen. Die Creme mit Salz, Pfeffer und einer Prise Zucker abschmecken.
Agastache
4 Stängel Agastache (Duftnessel)
Die Agastachestängel waschen, trocken schütteln, klein zupfen und nach Belieben roh als Dekoelement verwenden oder in etwas Buttermilch-Lake marinieren.
Anrichten
Je einen Klecks Mohncreme auf die Teller geben und kreisförmig verteilen. Eine “Kohlrabikopfscheibe” darauf setzen. Mit den marinierten Kohlrabikreisen und -schalenstreifen garnieren. Die Agastachestängel dekorativ anlegen und nach Belieben etwas vom Blättersud auf den Teller geben.
Sehr fein! Danke für die Inspiration.