Geranium, Kopenhagen, Dänemark
Bei aller Effizienz und Pünktlichkeit des öffentlichen Nahverkehrs Kopenhagens – langsam wird es knapp. Der Linienbus, der mich vom empfehlenswerten Hotel Babette Guldsmeden in unmittelbare Nähe meines Zielortes, des Restaurants Geranium, transportieren soll, kommt erst nicht, stoppt dann vollbesetzt und läßt Fahrgäste nur aussteigen. In den nächsten Bus kann ich mich quetschen und steige, schon leicht über die Reservierungszeit, an meiner Zielhaltestelle aus. Google Maps weist mir zwar den Weg, doch langsam steigt die Nervosität: hier sieht es gerade nicht so aus, als ob sich im Umkreis ein Top-Restaurant befände. Aufgrund des botanischen Namens ging ich davon aus, das Restaurant läge in einem Park oder gar Gewächshaus. Aber hier ist das Østerbro Stadium, dahinter dann ein noch größeres Fußballstadion, das Parken, in dem die dänische Nationalmannschaft und der FC Kopenhagen ihre Spiele austragen. Toll, wäre ich zum Groundhopping hier. Aber ich will essen und sehen, was Kopenhagen neben dem Noma kulinarisch noch zu bieten hat. Mental rufe ich mir schon ein Taxi und sehe mich, um meine no show-fee erleichtert, zum Hotel zurückkehren. Doch an einem ans Stadion angebauten Komplex kann ich wirtliche Zeichen erahnen…
Das Geranium -und das ist ein Traum für einen Fußballfan- liegt wirklich in einem Fußballstadion, auch wenn man durch die großflächige Glasfront des modern und puristisch eingerichteten Restaurants nicht ins Innere des Stadions blicken kann, sondern auf einen Nebenplatz. Dafür bietet mein Platz einen perfekten Blick in die halboffene Küche, in der Rasmus Kofoed mit einer Vielzahl von Köchen, wie sie mancher deutsche 3-Sternekoch nicht zur Verfügung hat, ruhig und hochkonzentriert arbeitet. Nach seiner Ausbildung im Kopenhagener Hotel D’Angleterre und nach einer Station im belgischen Zweisterne-Restaurant Scholteshof war der scheu wirkende 39-Jährige Bocuse d’Or-Gewinner von 2011 in einer Vielzahl dänischer Restaurants leitend tätig. Das seit 2013 mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant eröffnete er im Jahre 2010 gemeinsam mit seinem ehemaligen Souschef aus Krogs Fiskerestaurant, Søren Ledet, der in dieser Position auch im Noma wirkte, nun im Geranium den Service leitet und sich für die Getränke verantwortlich zeichnet.
Søren überreicht mir zum Aperitiv einen Umschlag. Werde ich etwa aufgefordert, wieder zu gehen? Erfolgt ein Bestechungsversuch? Nein, mit einem Brief heißt man mich freundlich willkommen, erläutert kurz, woher die skandinavischen Produkte stammen, deutet an, was kulinarisch und -so genau wollte ich es gar nicht wissen- finanziell auf mich zukommt. Man macht Lust auf natürlich erzeugte Weine, hausgemachte Säfte oder Craft Beer dänischer Microbreweries. “Let´s eat, let´s drink, let´s laugh, let´s dance” – die ersten beiden Punkte werde ich erfüllen, auf die letztgenannten bin ich jetzt mal gespannt…
Mit einem Füllhorn von Snacks zum Apéritif, einer Riesling Spätlese feinherb 2012 “Bremmer Calmont” vom Laurentiushof an der Mosel, gehen Küche und Service dann steil.Den Beginn macht ein elaborierter Käsecräcker in Ähren-Form. Dieser wird aus Roggenkörnern, die zuvor Kornly, einen Bio-Käse, umlagerten, während dieser nach alter Herstellungsmethode heranreifte, gebacken.Hinter Milch, fermentiertem Karottensaft und Sanddorn verbirgt sich ein taggleich hergestellter Käse, der herrlich cremig ist, äußerst intensiv nach Milch schmeckt und süß, säuerlich und fruchtig von den weiteren Komponenten umspielt wird.
Passend folgt nach der weichen Textur zuvor ein knuspriger Happs: kandierte Karotte mit Sanddornschaum.
Die Präsentation und Filigranität ist letztlich spannender als der frische Geschmack von in Zitronenverbene marinierter Birne.
Der Topinambur-Stick mit Walnuß-Mayonnaise beeindruckt nicht nur ob seiner Präsentation, sondern schmeckt so gut, daß ein zweiter Stick, um den Rest aus der Walnußhälfte zu dippen, händeringend gesucht wird.
“Was ist denn das für ein Teebeutel?”, war mein erster Gedanke bei dem an einer Teepyramide aus Filtervlies erinnernden getrockneten Blumen und getrockneten Äpfeln. Beim Kauen etwas austrocknend gefällt hierbei aber die geballte geschmackliche Ladung von Thymian, Kräutertee-Aromen und intensivem Apfel.
Die “verkohlte Kartoffel” mit Schafmilchbutter und Kresse erinnert erst einmal olfaktorisch an Kamin und stellt mit dem konzentrierten Kartoffelgeschmack und der intensiven Butter in Summe die perfekte (Pell)Kartoffel dar.
Als kleiner Schluck aus dem Eierbecher folgt als nächste Kleinigkeit umgehend die feine und dennoch würzige und -durch das in Apfelessig pochierte Eigelb– mild-säuerliche Steinpilzsuppe mit Trüffel.
Auch beim Selleriechip mit Seegras-Salz hätte ich mir gerne etwas mehr von dem knusprigen Vergnügen gewünscht, denn am Ende ist noch genügend vom mit Fischrogen gewürzten skandinavischen Joghurt Skyr zum Eintunken vorhanden.
Keine weitere Kleinigkeit, sondern es ist Zeit zum Hände reinigen nach dem Fingerfood, bevor es aus dem loungigen Barbereich an den Tisch geht,…
…wo ich dann die Auster mit Fischhaut, etwas Senf, fermentiertem Kohl und einigen Strandgewächsen mit Händen zum Auschlürfen an den Mund führe: Ein großartiges Austergericht mit lang währendem, jodigem Geschmack und Tiefe, das durch das Zusammenspiel mit Egon Müllers Basis-Riesling Scharzhof 2011 noch gewinnt.
Das unscheinbare Aussehen des gelierten Schinkens mit Tomatenwasser und Sauerampferblüten täuscht. Die nur leicht gelierte Brühe aus Schinken und abgetropftem Tomatenwasser ist gleichsam herzhaft und erfrischend, interessante säuerliche Noten gehen von den Blüten und Zitronenthymian-Öl aus.
Ich bin kein großer Freund von Texturgebern – bei den “Dillsteinen”, die mit eingesalzener und danach gekochter, dänischer Makrele gefüllt sind und ein höchstintensives Dillaroma in sich vereinen, mache ich gerne eine Ausnahme. Zusammen mit ein wenig Meerrettichcrème und einem Granité aus kurz eingelegten Gurkenwürfeln ergibt sich eine wunderbare Kindheitserinnerung an Omas Gurkensalat. Dessen Geschmack ist hier einfach noch potenziert. Die Tränen in den Augen erkläre ich dem fürsorglichen Service einfach mit der Schärfe des Kreuzblütengewächses.
Kurz zeigt der Service die gegarte Königskrabbe vom norwegischen Polarkreis. Dann richtet er sie am Tisch mit ihrem eigenen, Zirtonenmelisse aromatisierten Fonds und getrockneten und gemahlenen Moltebeeren, einem bitter-säuerlich schmeckendem Rosengewächs, zu einem puren, aber grandiosen Schalentier-Gericht an.
Was im Englischen so kurz und einprägsam “Razor Clam” heißt, ist eine “Schwertförmige Scheidenmuschel”. Aber wie so oft im Leben kommt es auf die kleinen Details an. So taste ich mich an die Muschel heran, öffne sie vorsichtig und esse vorsichtig den Inhalt aus Muschelfleisch, Crème fraîche und Petersilie. Doch die Schale bricht sehr schnell, sie ist auch viel zu dünn, ja, und sie ist eßbar. Oh, nein, ich bin darauf reingefallen. Trotzdem gut.
Stimmt, bisher gab es kein Brot. Das fällt dem ansonsten kompetenten Service ja früh ein… Aber dafür ist dann das Brot aus der alten Getreidesorte Emmer undDinkel umso gelungener. Zumal die mit Zwiebelblüten noch schmackhafter gemachte Buttermilch-Butter und der mit Kamille infundierte dänische Ingrid Marie-Apfelsaft -der dadurch wie eine Erkältungsinhalation riecht, aber süffig-süß schmeckt- sehr gelungen sind. Mit der Menükarte in der Hand, stelle ich retrospektiv fest, daß dies wirklich als Menügang gedacht ist.
Aus den Zwiebeln des Vorjahres, Echter Kamille, geschmolzenem Heukäse und Bärlauch ist ein süß-saures, zwiebelig-scharfes und ungewöhnlich grün schmeckendes Gemüsegericht entstanden. Bei augenscheinlicher Simplizität außergewöhnlich spannend.
Der Hummer wurde erst mit Wacholderbeeren gegart und dann über selbigen kurz geräuchert. Zusammen mit eingelegten Fichtensprossen, Miniradieschen, Beeren, Blüten und Sellerieblättern entsteht ein stoffiges Gericht, bei dem das Krustentieraroma, stets schmeckbar, auf eine höhere Ebene transferiert wird,
Rund um das geräucherte Eigelb mit Erbsen gießt der Service eine stark mit Kräutern aromatisierte Brühe aus gerösteten Kartoffelschalen an. Estragon und Waldmeisterblüten verstärken den sehr grünen, leicht bitteren Eindruck, der dann durch die Süße und den Fettgehalt des Eigelbs sensorisch schön eingefangen wird.
Die Kalbszunge wurde gepökelt, für Stunden gegart und abschließend kurz im Green Egg angegrillt. Das so hocharomatische Stück Fleisch ist perfekt in Intensität und Biß. Zusammen mit der herben Süße von Roter Beete, und den bitter-süßen Preiselbeeren ergibt sich ein grandioses und unvergeßliches Fleischgericht.
Der “Waldboden im April”, aus Waldsauerklee, Buchenblättern und Waldmeister wird mit Apfel und weißer Schokolade zu mehr als einem Wackelpudding mit geschabtem Eis – erfrischender Auftakt des Dessertreigens.
Ornamente am und auf dem Teller bei Schafmilchjoghurt mit getrocknetem roten Klee und knusprigen Rote Bete-Zweigen: Die intensive Crème wird süß-säuerlich und erdig-würzig begleitet.
Ein grandioses Bienenwachseis wird vom Rhabarber mit einer infusion aus Rosenblättertee, Frühlingsblüten und Kräutern nicht nur Süße genommen – die “Nahrung” der fleißigen Biene ergänzt und harmoniert perfekt mit dem Eis.
Der “Nackte Baum” mit Backpflaumenkompott, gefrorenem Bier und einer mit Buchenholz aromatisierten Crème schlägt eindeutig herbere, karamellige Töne an. Die geschmacklich ungewöhnliche und spannende Zusammenstellung ist ein hervorragendes Dessert fernab von bleiernder Schwere und bleibt durch das gefrorene Dunkelbier auf der frischen Seite.
Nach dem Essen mag ich keine Heißgetränke. Wie man allerdings an den Löffelspuren erkennen kann, habe ich beim Getreidekaffee mit Petersilienwurzeleiscrème und Salzkaramell nicht lange gezögert. Mir gefällt die Muckefuck-Note im Eiskaffee-artigen Zusammenspiel mit dem ungewöhnlichen Eis. Ein sehr spannendes Dessert, das bei allem neuartigen Geschmack sehr gut funktioniert.
Mit dem grünen Ei mit Pinie als Petit four endet dann das Menü.
Der Fluß aus 25 “Servierungen”, bei denen die Grenzen zwischen Snack, Amuse, Menü und Petit four verschwimmen, hat mich nachhaltig beeindruckt. Konzeptionell gar nicht weit vom Noma entfernt, erscheint hier die Küche feiner und filigraner – ja, auch undogmatischer. Besonders gefällt mir die milde, nicht vordergründige Harmonie, die zum Nachdenken anregt und bisweilen auch überrascht – bis hin zu originellen Desserts. Manches wirkt gar spielerisch oder banal-simpel, entpuppt sich bei näherem Hinsehen stets als ein mehr dessen, was der erste Blick verheißt. Die Akzentuierung von Gemüse, Meeresfrüchten und Fisch steigert den Lustgewinn zusätzlich.
Auch bei der Weinbegleitung herrscht Freude und Harmonie. Die Weinbegleitung von Søren Ledet und dem sympathischen, sehr engagierten Restaurant Manager Mikael Båth schaffte es immer wieder, mit Bekanntem und Originellem belebende und interessante Akzente neben einer bloßen Begleitung zu setzen. Dem Gast quasi als Sorbet-Ersatz vorm Fleischgang ein Bier zu servieren, zeugt von souveränem Humor.
Tolles Menu, gefällt mit besser als Noma, klasse Bilder, besten Dank