De Leest, Vaasen, Niederlande
Wie planen Genußsuchende eine Reise? Unter anderem mit dem Guide Michelin in der Hand. Seit 1936 wird ein mit einem Stern ausgezeichnetes Restaurant mit „Eine sehr gute Küche: verdient besondere Beachtung“ definiert. „Eine hervorragende Küche: verdient einen Umweg“ heißt es bei zwei Sternen und die Höchstwertung sind drei Sterne: „Eine der besten Küchen: ist eine Reise wert“.
Auf der Fahrt in unseren Kurzurlaub in die Provinz Nordholland, gelegen zwischen Nordsee und IJsselmeer, fuhren wir einen kleinen Umweg zum Mittagessen. Im letzen Jahr wäre unser Vorgehen völlig korrekt gewesen, dieses Jahr wäre alleine der Grund für den Umweg eine Reise wert gewesen.
Das Restaurant De Leest im beschaulichen Vaasen ist im Michelin gids Nederland 2014 seit November vergangenen Jahres mit drei Sternen höchstbewertet. Im 2002 eröffneten Restaurant zeichnet sich Jacob Jan Boerma für die Küche verantwortlich und seine Frau Kim Veldman leitet den sehr angenehmen Service.
Optisch großartig und geschmacklich pointiert sind die drei kleinen Snacks zur Einstimmung und zum Apéritif, einem Cremant de Limoux von Aimery. Natürlich war auch mittags genügend Appetit für das große Menü vorhanden. Mit “Natuur, Creatie, Ontdekking & Innovatie” ist das “Menu Micri”, was sicherlich keiner Übersetzung bedarf, angekündigt.
Vor dem Menü kommen drei kleinteilige Amuse bouche als Gruß aus der Küche. Leicht sind sie und dennoch geschmacklich überzeugend. Die Gänselebercreme ist nicht dessertsüß, wie schon oft anderswo dargeboten, sondern eher erdig-säuerlich angelegt. Der Wolfsbarsch und auch das Avocado-Tatar leben von ihrer japanischen Inspiration ohne ihre europäische Herkunft zu verleugnen. Gelungen.
Das Krebsfleisch ist bei 72°C gegart und fast wie ein Krabbensalat, mit Mayonnaise und winzigen Zwiebelstücken, angemacht. Optisch wird der Teller vom Kürbis in verschiedenen Texturen bestimmt. Ein wenig Biß und Fruchtfrische kommen vom Cous Cous mit Apfel. Über dem Ganzen schwebt eine würzige Vinaigrette mit Limonenöl. Der Silvaner Kabinett trocken “Homburger Kallmuth” 2011 von Fürst Löwenstein, Franken kommt mit seiner dezentfruchtigen Note und guten Säurestruktur nicht nur mit dem Gang gut klar, sondern unterstützt die Aromen. Ein schöner Menüauftakt.
Der kurz angeschwenkte Kaisergranat kommt mit Wintergemüsen in verschiedenen Texturen und Garungen auf den Teller. Dazu gesellen sich Pilze, eine Escabeche von Champignons, Estragonöl und Trüffelvinaigrette. Die Schalentiere sind von derartiger Frische, daß sie noch einen richtig guten Biß neben dem ausgezeichnetem Geschmack haben. Dazu merkte Jacob Jan Boerma im späteren Gespräch an, daß genau von diese Bißfestigkeit mancher Gast schon irritiert gewesen sei. Stilistisch bleiben die Leichtigkeit und Frische, geschmacklich ist es kräftiger und grüner. Kräftiger ist auch der begleitende Wein dazu. Der Riesling “vom roten Schiefer” 2011 von Clemens Busch, Mosel, liefert einen mineralisch-fruchtigen Unterbau.
Die erste Überraschung zum darauffolgenden Gang befand sich im Glas. Bisher war mir das Zellertaler (Pfalz) Weingut Janson Bernard gänzlich unbekannt. Der gemischte Satz von Gewürztraminer und Riesling “Schwarzer Herrgott” aus 2012 wußte nicht nur als Solist zu gefallen. Auch zum sicherlich nicht einfach zu begleitenden Gang, kurz gebratenen Jakobsmuscheln mit verschiedenen Texturen von Blumenkohl, Wintertrüffel, geröstetem Lauch und Haselnuß, machte er eine gute Figur. Der Blumenkohl – hier kommt automatisch ein geschmackliches Gefühl von Holland auf – paßte in dieser Kombination hervorragend mit dem intensiven Trüffel zusammen. Die Nüsse tauchten nicht nur gehackt auf, sondern aromatisierten in Ölform auch die Sauce. EIn hervorragender, zwischen fein und schlotzig, angesiedelter Gang.
Wo andere ein Sorbet einschieben, gab es im De Leest zur Erfrischung der Geschmacksnerven ein orientalisch inspiriertes Schälchen. Paprika, Zucchini, Harissa und Basilikumöl erinnern entfernt an ein perfekt zubereitetes Petrella aus 1001 Nacht…
Zugegeben, der Teller macht optisch nicht soviel her, Aber wenn der Inhalt die Form so souverän in den Schatten stellt, sehen wir darüber einfach hinweg. Auch bei diesem Gang erleben wir (Zitrus)Frische und eine leichte Sauce ohne Einsatz von Butter oder Sahne. Der Steinbutt aus der Nordsee hat grandiose Qualität und ist auf einer Seite mit Zitrusaromen, im Speziellen mit Cumbava, einer besonders verschrumpelten Kaffir-Limette, aromatisiert. Sellerie, auch hier durchdekliniert, und Chicoree geben Biß. Zur Würzung eignete sich das Sellerie-Röllchen mit fein gehackten Shiitakepilzen gefüllt. Zusammen mit dem klaren Curry-Jus ist dies einfach ein kompaktes Wohlfühlgericht. Eine interessante Wahl in der Weinbegleitung dazu der Rosa 2011 vom Weingut Umathum aus dem Burgenland, die überraschend gut gelang.
Die an der Karkasse gegarte Bluttaube ist perfekt zubereitet. Mit Liebstöckel geschmorte Karotten; deren Tatar und al dente bereitete Teile treffen auf ein Püree von Schwarzwurzeln, an dem wir leicht rauchige Noten ausmachen. In der Sauce aus dem Bratensaft der Taube meinen wir nicht nur das angekündigte Garam Masala zu erkennen, sondern auch einen Hauch Vadouvan herauszuschmecken. Die Begeisterung bei diesem Gang ist nicht so groß wie zuvor, da die Summe der an und für sich guten Teile, Taube und Gemüse, zusammen nicht herausragt. Zweierlei Gläser im Vergleich dazu: Spätburgunder “Schloß Staufenberg” 2011 vom Markgraf von Baden gegen einen Côtes du Rhône 2012 der Domaine La Cabotte. Von zwei nicht großen Weinen, fand ich den Spätburgunder zum Essen besser, da er die Rauchnote ein wenig aufnahm.
Ein Paukenschlag! Ein kleines Stück Fleisch, aber das beste seit langem! Das bei Niedrigtemperatur gegarte und mit Oloroso-Sherry und Gewürzen glasierte Kalb aus Holland ist Aroma und Zartheit pur. Dazu Gemüse in verschieden Garzuständen: Topinambur und zweierlei Kartoffel. Die kleine Zwiebel auf dem Teller gibt dem Ganzen, neben der mit der Gewürzmischung “Poudre du Yoyage” behandelten Sauce, den endgültigen Kick. Der Wein dazu war der “Fontanilles” der Domaine des 2 Ânes aus dem Languedoc.
Am 20. Februar als neues Dessert vom Restaurant bei Facebook gepostet, am darauffolgenden Tag als Pre-Dessert vor uns auf dem Tisch. Überrascht von den Auswirkungen von Social media erzählte Jacob Jan Boerma uns später, daß ein Gast an diesem Mittag, weil er das Foto im Internet so appetitanregend fand, spontan reserviert habe. Die Kombination aus Blutorange, Campari und Rosenblüten war auch herrlich erfrischend. Nur ein leicht parfümiger Hauch durch die Rose war neben der intensiven Blutorange zu spüren.
Konsequent werden auch beim ersten Dessert Zutaten in verschiedenen Zubereitungen und Aggregatzuständen durchgespielt. Die Ananas in Form von Gelee und bei 60°C gegarten Stücken, die Mandarine wird als Sorbet und pure Frucht eingesetzt. Zusammengehalten wird das Ganze durch eine Crème Chiboust und der Mousseline von weißer Schokolade. Nehmen wir da nicht auch einen Hauch von “Mandarine Napoléon”-Cognac wahr? Intensiver und dennoch wieder leichter Auftakt im Bereich der Pâtisserie.
Das große Element ist ein Joghurt-Basilikum-“Zylinder”, weiter befinden sich auf dem Teller ein Joghurteis, Yuzu-Perlen aus dem Stickstoff und Strukturen von Papaya uns Guave. Der Deckel schmeckte wie Himbeerbonbons aus unserer Kindheit. Vegetabile Noten steuert als Gegengewicht ein Basilikumjus bei.
Vollversammlung auf dem Teller: Aromen von Mandel und Pistazien, ein Kaffee-Sorbet mit Kokos, parfümiert mit Zitronengras und Yuzu, Halbgefrorenes von Amarula. Geschmacklich erinnert es uns etwas an Baba au Rhum und funktioniert durch die verschiedenen Konsistenzen und Temperaturen. Wiederhole ich mich, wenn ich auf die Leichtigkeit, die wieder durch den Einsatz von Zitrusaromen zu kommen scheint, hinweise?
Zum Abschluß des Dessertreigens geht es noch einmal in die Vollen, so daß alle Elemente im Rückblick kaum zu benennen sind: Buttermilchsorbet, Zitronencreme, Sponge und Baisser und ein interessant schmeckendes Aloe vera-Gelee. Wow.
Die Weinbegleitung zu den vier Gängen Dessert war eine Rotgipfler Auslese 2011 vom Johanneshof Reinisch, Thermenregion. die sich recht unspektakulär mit ihrer dezenten Frucht, dem schlanken Körper und prononciertem Säurespiel unterordnete. Anstelle von Petit fours folgten noch zwei kleine, erfrischende Schälchen, sozusagen Post-Desserts.
Trotz dieser durchaus stattlichen Anzahl an Gängen hatten wir auch nach Ende des Menüs ein sehr angenehmes Gefühl. Selten erschien uns ein großes Menü so verträglich und natürlich dargeboten. Jacob Jan Boerma erzählte uns anschließend, dies sei mitunter auch sein Ziel. Er freue sich schon wieder auf das nahende Frühjahr und somit auf junges Gemüse. Mit frischen, lokalen Gemüsen koche er eben am liebsten. Seine Liebe dazu läßt sich auch an den herzhaften Gerichten ablesen, wo das Gemüse dem Fisch oder Fleisch mindestens ebenbürtig ist und er besonderes Augenmerk auf die (Gemüse)Garmethoden legt. Die Produktqualität im De Leest ist hervorragend und wie ein roter Faden ziehen sich Frische und Säure durch das konzentrierte, aber dennoch entspannte Menü, in dem neben lokalen Produkten auch niederländische Verweise aufblitzen.
Durch die Nähe zu einem anderen kulinarischen Hotspot der Niederlande, dem De Librije in Zwolle, und der Lage in Nähe zur niederländisch-deutschen Grenze sollte das Restaurant unbedingt eine zumindest englischsprachige Website einrichten. Denn mit dem De Leest ist Vaasen eine Reise wert!