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Le Moissonnier, Köln

Le MoissonnierKöln, ein Dienstagmittag. Le Moissonnier, noch leer. Das Lächeln auf den Gesichtern ist flüchtig. Fest der Händedruck bei den Stammgästen, die nach und nach eintrudeln. Zu Beginn des Service ist die Stimmung leicht angespannt. So wie die etwas unentspannte Sitzhaltung, die man als Gast eng nebeneinander aufrecht auf den roten Lederbänken, Ledersesseln und Holzstühlen einnimmt.

Im Restaurant mit dem leger-eleganten Signature-Interieur mit Jugendstil-Elementen ist vieles außer dem Ansetzen von Patina seit Jahrzehnten, seit 31 Jahren, nahezu unverändert. Zum Drumherum kommt in der Spitzengastronomie selten gelebte Konstanz beim Personal. Küchenchef Eric Menchon steht hier seit vielen Jahren am Herd, nachdem er sich auf eine Stellenanzeige des jungen Paars Liliane und Vincent Moissonnier gemeldet hatte. Die suchten einen Koch für ihr gerade in einer der weniger schönen, dafür viel befahrenen Straßen der Kölner Neustadt neben Spielhalle, Kiosken und Teestuben eröffneten Vinothek. Die Jugend des heute 51-jährigen Menchon war bestimmt von mediterrane Speisen aus der Provence mit nordafrikanischen Einflüssen wie Couscous mit Fisch aus der mütterlichen und großmütterlichen Küche. Eine oftmals erzähle, doch dadurch nicht weniger schöne Geschichte. Eine wahre Geschichte des Le Moissonnier, um deren Authentizität bei Ambiente und Lage sich Junggastronomen heute reißen würden.Le Moissonnier Doch was ist schon Vergangenes bei einem Restaurant, das sich bei allen Konstanten immer weiterentwickelt hat und bei aller Routine niemals stehen zu bleiben scheint. Schon seit einiger Zeit hat Monsieur Moissonnier einen Weinhandel. Seine Weine gibt’s auf der straff kalkulierten Weinkarte neben französischen Klassikern “Les Sympathiques” unter “Les Exceptionnels”. Eine lobenswerte Errungenschaft ist ebenfalls die Aperitifkarte, die unaufgefordert kommt – rein informativ und kalkulatorisch (für den ein oder anderen Gast sicherlich) wunderbar. Am Mittag, so die eiserne Regel, gibt es keine Amuse-gueules. Natürlich sind derartige Zugaben oftmals eine beeindruckende Leistungsschau und doch, da aromatisch überfordernd und sättigend, verzichtbar.  Dafür weiterhin eine “Plat du Jour” aus kleiner Vorspeise und Tagesteller – das Überbleibsel aus Anfangstagen erleichtert die Hemmschwelle und hält Gäste der ersten Stunde bei der Gabel.Le Moissonnier Foie gras de canard maison, gelée de Gewürztraminer et petite salade
Unsere eigene Entenleberpastete, Gewürztraminer-Gelée und Salat

Das Wochenmenü umfasst dienstags bis freitags vier Gänge, die sich zu Beginn mit einer Portion Foie gras und zum Abschluss mit einer Käseauswahl von Maître Antony erweitern lassen. Natürlich locken ebenfalls die À la carte-Gerichte, doch die Auswahl des Menüs entsprach den wahrscheinlich ohnehin gewählten Gerichten.

Die Stopfleber steht wie die südfranzösische Fischsuppe mit Aïoli und Croûtons und Crème brûlée mit Vanille erst einmal für nichts und dann für alles, was im Le Moissonnier gekocht wird. Das ist die Grundlage im Le Moissonnier. Französische Küche, gute Qualität und ausgezeichneter Geschmack mit bestem Handwerk. Die Terrine ist fest und geschmacklich durchaus kernig. Unverfälscht puristisch ohne zu viel Alkohol in der Leber und kaum Süße drumherum. Da braucht es keinen Sauternes, sondern das letzte Schlückchen Côte du Jura der Domaine Macle vom Aperitif tut’s hervorragend. Le MoissonnierCarpaccio de thon rouge snaké, aux palourdes, jus de coquillage et fruit de la passion I Gelée de concombre à la graine de couscous Anchoïade et menthe marocaine, olives taggiache
Carpaccio vom roten Thunfisch scharf angebraten mit Venusmuscheln und Passionsfrucht I Gurken-Gelee mit Couscous Anchoïade mit marokkanischer Minze, Taggiasca Oliven

Das Spektakuläre im Le Moissonnier ist jedoch die Aufsplitterung eines Gangs in diverse Teller – ja fast einzelne Gerichte. Auf hauchdünnem, knusprigen Blätterteig (das erinnert für eine Millisekunde an Tim Raues Japanische Thunfisch-Pizza) liegen die Scheiben des schmackhaften Thunfisch, zart und exzellent in der Dicke für ausreichende Wahrnehmbarkeit. Die braucht es zur Wucht der kraftig einnehmenden Venusmuschel-Emulsion. Während der Thun-Teller “klassisch” üppig schmeckt, kreist der Teller mit einem in seine Bestandteile auseinander gezogenen Couscous-Salat leicht, fruchtig, kühl erfrischend durch die Kühle von Gurkengelee und ein fein dosierter Tomate  und nachhaltig intensiv durch die Sardellencrème darum umher. Spätestens beim Getreidigen von Blätterteig und Couscous dockt er an den Haupteller an. Der Auftakt ist sehr zugänglich und geschmackvoll. Beim Essen stellt sich der Gedanke an  “Couscous mit Fisch” ein. Wenn man will, kann man dieses nach Südfrankreich gelangte nordafrikanische Einwanderergericht auf die kulinarische Adoleszenz von Eric Menchon beziehen.

Le MoissonnierLanogoustines d’Islande, pochées à l’huile d’olive sur une crème de cidre fermier au Cognac et foie gras I Ajo-Blanco cassé au sirop de betterave fumée I Melon charentais marinés et pâtes aromatiques
Isländische Langoustine in Olivenöl pochiert auf Apfelwein-Crème mit Cognac und Foie gras I Ajo-Blanco mit Sirup von geräucherter Rote Bete I marinierte Charentais-Melone mit aromatisierten Pasten

Wieder versammelt sich Opulenz auf dem Hauptteller. Die Langoustine ist von stattlicher Größe. Durch das Pochieren im Öl ist sie weniger knackig, sondern hat eine weichere Textur und vor allem an Krustentier-Intensität gewonnen. Die Sauce mit Zug, Intensität und Säure und einschmeichelndem Mundgefühl – fast eine Andeutung einer Sauce riche – passt in diese reichhaltig wohlige Molligkeit. Das süffige Schwelgen unterbricht jäh die kühle, stumpfe Ajo-Blanco aus Mandeln, Brioche und einem Hauch Knoblauch. Doch erst der dritte Streich lockert wie ein Riff in offener G-Dur-Stimmung von Keith Richards die dunkle Tonalität auf. Wie eine Hommage an die Rolling Stones liegt dort zur Zunge aufgerollt die Melone. Die ist nur im ersten Moment fruchtig, danach bleibt mit den Pastentupfern aus Kräutern und Gemüsen nur herb “Meloniges” – geschmacklich und texturell ergänzend. Anspruchsvolles, produktorientiertes Essen wie es sein kann: schmackhaft, eingängig und spannend. Für den Esser wunderbar, dass die Proportionen aufgrund des großen Krustentiers genügend Gabeln für alle Kombinationen ermöglichen.

Le Moissonnier

Buf sur canapé: Short rib de bœuf grillé et laqué à la réglisse sur un toast brioché au foie gras et sauce BBQ I Crème brûlée de maïs au curry Mumbai I Polenta blanche à la crème de persil
Rinder-Short-Rib gegrillt und lackiert mit Süßholz auf getoasteter Brioche mit Foie Gras, BBQ Sauce I Crème Brûlée von Mais und Mumbai-Curry I Weiße Polenta mit Petersiliencreme

Kurz mutet der Fleischgang wegen der Fleisch-Stopfleber-Kombination wie ein Luxus-Burger à la Rossini ohne Trüffel an. Das butterzarte, aromatische Fleisch ist mit geräucherter Tomate und der Grillsauce zum Fingeschlecken mehr als verführerisch. Weil sich hier keine Intensiätssteigerung mehr vornnehmen ließe, ergänzt das Küchenteam um Eric Menchon das Gaze mit perfekt zerlegten Komplementären aus Sättigungsbeilagen. Mais und Maisgries spielen hier nicht mit Süße, sondern ergänzen Getreidigkeit. Als Gegenpol zum durch zarten Selbstverfall nahezu vom Kauen befreiten Fleisch fungiert die Knackigkeit von gegrilltem Lauch. Als intensiver Brückenbaumeister verbindet eine Parmesanmilch die Reifenoten des Fleisch mit dem getreidigen Maisgeschmackt. Nennen wir es doch einfach sophisticated barbecue oder Grillteller deluxe.

Le MoissonnierAfter nine: Biscuit léger à la menthe verte, chocolat Nyangbo et marmelade de menthe cristal I Glace cardamome à la nougatine de grué et meringue chocolat 
Leichtes Biskuit von Minze und Valrhona-Schokolade Nyangbo mit Crystal-Minze Marmelade I Kardamom-Eis mit Kakaobohnen-Nougatine und Schokoladen-Baiser

Im Le Moissonnier gehen die Uhren kulinarisch schon lange eine Stunde vor. So heißt das inhaltlich an die Schokominz-Täfelchen After Eight erinnernde Dessert nicht nur aus markenrechtlichen Gründen “After Nine”. NahrungsmittelIndustrielle Evergreens zu dekonstruieren ist nichts Neues. Dass sie diesen Status haben, ist kein Wunder. Sie sind gut komponiert und schmecken gut. Sie sind zumeist nur viel zu süß und aus billigsten Zutaten hergestellt. Davon kann hier natürlich nicht die Rede sein. Erfrischend und leicht und köstlich ist der Eindruck. Ein wenig schlicht und profan mag es demjenigen vorkommen, der hochkomplexe Patisserie als fulminantes Finale erwartet.

Das Fazit

Mittlerweile ist die Stimmung bei vollem Laden am Mittag ausgelassen, die Gesichtsmuskeln sind deutlich entspannter. Die Maschinerie läuft. Seit nunmehr 31 Jahren wie geschmiert. Da ist eben höchste Konzentration gefordert. Nichts anderes als Perfektion, Innovation und, am wichtigsten, Geschmack bringt man hier unter einen Hut beziehungsweise auf viele Teller. Die vielen Teller sind nicht nur beim Spülen eine Herausforderung.

Das Le Moissonnier wurde schon öfters besucht und hier (bitte nicht über die urkomischen Anfänge lachen!) und hier (muss das wegen Fress-Einladung als “Werbung” gekennzeichnet werden?) auch mal beschrieben. Bei diesem Besuch schien um so mehr ein gewohntes, duruchaus populäres Geschmacksbild im Mittelpunkt zu stehen, das durch geschickte Verschiebungen auf neue Wege und geschmackliche Spitze gebracht wurde. Die Basis dieser Küche liegt handwerklich und geschmacklich weiterhin ganz klar in Frankreich, wobei sie durch die Experimentierfreude und Kreativität losgelöst von Klischees und altbekannten Geschmacksbildern bleibt. Während beim Drumherum und bei den Hauptakteuren beeindruckende Kontinuität herrscht, kennt die Küche unter Eric Menchon offenbar keinen Stillstand.

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