Willkommen im Wurstzirkus
Fünf Uhr. Der Wecker klingelt. Obwohl tod-müde, liege ich schon länger wach, denn ich bin etwas nervös und aufgeregt. Um sechs Uhr will ich beim Metzger sein, ich darf einen Tag in der Wurstküche nicht nur zugucken, sondern mitmachen. Letzteres hat mich ernsthaft überrascht, weil ich in einem Überschwang von Übermut den Chef nur gefragt hatte, ob ich denn mal zuschauen dürfe. Ja, klar, und ein Mittwoch sei der interessanteste Tag, denn da würden Blut- und Leberwürste produziert.
Schon um fünf Uhr waren die Jungs aus der Wurstküche an diesem klaren Sommermorgen vor Ort und sind mit Vorbereitungen beschäftigt. Bis auf ein weißes T-Shirt konnte ich keine Hygienebekleidung vorweisen, so wurde ich erst einmal mit weißer Hose (oben weit, unten dafür kurz), Arbeitsschuhen und Plastikschürze ausgestattet. Nach ein paar Hinweisen zur Arbeitssicherheit (scharfe Messer!!!) und Hygiene heißt es „Manege frei…“
Die Luft in der Wurstküche ist feucht und warm. Ständig wird mit heißem Wasser aus-gespült und mit Wasserdruck gereinigt, im Multifunktionsofen garen schon die ersten Produkte und im großen Wasserbad simmert Schweinebrühe vor sich hin. Dafür schlägt einem bei Botengängen in die verschieden Kühlräume der verwinkelten Räumlichkeiten der über 75 Jahre alten Familienmetzgerei Eiseskälte entgegen. Tage später rieche ich noch nach Räucherofen.
Tags zuvor wurden ganze Schweinehälften von Züchtern des Vertrauens am Schlachthof abgeholt und zerlegt. Aus den Knochen stammt auch die Schweinebrühe, die für einige Wurstzubereitungen benötigt wird. Die Metzgerei Inhoven stellt, wie nicht mehr viele Fleischeierfachbetriebe, nahezu ihr gesamtes Sortiment von Frischwurst, Schinken, Salami und Blut- und Leberwürsten selbst her.
Mit Azubi Kevin (23) bin ich an diesem Tag für die Produktion der bekannten Bratwurst-kreationen des umtriebigen Chefs und Wurstzirkus-Direktors Peter Inhoven zuständig. Zuständig heißt in dem Fall, ich stelle tausend Fragen, handele nur nach Anweisung und versuche Kevin, der aber geduldig mit mir ist, nicht zu sehr in seiner Arbeit zu behindern. Allein für die verschiedenen Bratwurstsorten jagen wir mehr als hundert Kilogramm, hauptsächlich Schweinefleisch und weniger Rind, durch den Fleischwolf. Dessen Bedienung erscheint mir auf den ersten Blick noch am einfachsten: Fleisch in Stücken rein, Hack raus. Danach wandert das Fleisch in den Cutter, der, mit scharfen, schnell rotierenden Messern bestückt, feine Massen herstellen, aber auch Hack mit Gewürzen und anderen Zutaten vermengen kann.Wir stellen das Brät u.a. für „Shanghai Tiger“, „Politbüro“, die „Spanische“, „Transylvanische“ und „Eichsfelder“ her. Neben Grundgewürzen wie Salz, Pfeffer und Majoran, sind auch Teriyaki- und Austernsauce, Kaffirlimettenblätter, Chilischoten, Ingwer, Rote Beete und Macis (Muskatblüte) ein Teil der Zutaten für die verschiedenen Rohbratwürste.
Kevin kann das Brät aus dem Cutter in ein, zwei Handgriffen zu einer Kugel formen und trägt diese die Paar Schritte zur Füllmaschine, wo ein großer Trichter nach Befüllung giert. Auf den Auslass, das Hörnchen, kommt ein gewässerter Schafsdarm. Mit dem Ober-schenkel wird der Portionierer betätigt, mit dem Daumen der linken Hand die heraus-schießende Wurstmasse kontrolliert und mit der rechten Hand der Darm im Zaum gehalten.
Fühlte ich mich beim Zwiebel- und Ingwerschälen noch sicher, stelle ich mich beim Befüllen zugegebenermaßen eher weniger geschickt an und werde zum Abdrehen der fertigen Würste beordert. Mitgezählt habe ich nicht, aber über tausend Würste -für den eigenen Laden, aber auch für Weiterverkäufer und den Wurstzirkus des Chefs- haben wir bestimmt hergestellt.Aus Rücksicht auf mich, glaube ich, gibt es eine kurze Frühstückspause. Beim Blick auf die Uhr und Biß ins Schnitzelbrötchen stelle ich fest, daß es erst kurz nach Acht ist. Dann auch noch her mit dem Leberkäsbrötchen. Später sehe ich niemandem mehr Pause machen…
Frisch gestärkt vakuumiere ich eine Großbestellung und wünsche mir für zuhause auch einen derartig effektiven Vakuumierer. Da ich das Eintüten beherrsche, darf ich im Laufe es Tages noch über hundert Kilo Bockwürstchen eintüten.
Zeitweise passieren so viele Dinge gleichzeitig. Norbert, der Leiter der Wurstküche, Geselle Freddy und Azubi Kevin arbeiten unablässig. Neben uns werden Kochschinken aus der Brühe geholt, der Knochen wird ausgelöst und mit ein wenig Aspik kommen das aus Ober- und Unterschale bestehende Fleischstück in eine Art Schraubstock, in der es während der weiteren Garung in Form gepresst wird. Da wird magerer Speck gewürfelt, im Cutter sind jetzt Schwarten und wo kommt auf einmal das ganze Blut her? Ach ja, es wird ja noch Blutwurst hergestellt. Schwartemagen, den ich immer mal gerne esse, ist auch an der Reihe. Da ist Handarbeit und die Erfahrung des Metzgers, der durch Fühlen und Abschmecken weiß, wann alles in Ordnung ist, gefragt.
Die Stimmung ist konzentriert und kollegial mit nur den nötigsten Ansagen, die Hierarchie ist klar verteilt. Ich bin froh, daß mir meine neuen Einsichten in keiner Weise den Appetit nehmen. Außer gelegentlichem Pökelsalz werden keine Zusatzstoffe verwendet, es wird sauber gearbeitet und man ist stolz auf seine Produkte.
Gegen 15 Uhr geht es an die Reinigung von Maschinen und Wurstküche. Ich bekomme einen Eimer heißes Seifenwasser und eine Bürste in die Hand gedrückt und darf meine lieb gewonnene Abfüllmaschine schrubben, auf daß sie „wie neu“ aussähe. Mir tun mittlerweile Beine und Rücken vom ungewohnt langen Stehen weh, aber penibelste Sauberkeit am Ende des Tages muß sein und so erledigen alle gemeinsam auch den letzten Akt des Tages.
Mit einem großen Bratwurstüberlebenspaket gehe ich müde, aber zufrieden nach Hause, wo mir nach kurzer Zeit die Augen zufallen, bevor die ersten Würste auf den Grill kommen.
Lieber Stefan!
Nachdem ich deinen Bericht gelesen habe, möchte ich dir herzlichst dafür danken und dir mitteilen, dass die Tore unserer Wurstküche stets für dich offen stehen!
Des Weiteren wollte ich dich fragen, ob wir deinen Artikel auf unserer Homepage veröffentlichen dürfen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir noch weiter in Kontakt bleiben, und genieß dein Wurstpaket!
Peter