Salz, Pfeffer und Co – Push it real good?
Heute einmal ein kleiner Exkurs. Bei Restaurantbesuchen begegnet mir häufiger ein Phänomen, und beinahe bin ich geneigt, eine Analogie zum loudness war der Musikindustrie herzustellen – knapp zusammengefaßt: bei Aufnahme und Mastering wird versucht, den Lautheitspegel zu erhöhen, was eine Kompression auf Kosten der Dynamik nach sich zieht. Die Gründe liegen auch im heutigen Hörverhalten: Musik soll auf Smartphones und im Radio knackig klingen. So sind durchaus gute Musikalben von Metallica oder den Red Hot Chilli Peppers kaum zu genießen, weil es nur dröhnt und gar zu Klick-Geräuschen kommt.
Beim Essen heißt dieses Problem sensorische Überforderung oder – im Kloppo’schen Sinne – Vollgasveranstaltung. Die Konsequenz: es schmeckt gut und intensiv, aber Transparenz und Zwischentöne gehen verloren. Durch Gewöhnung an stark gewürztes, industriell produzertes Essen scheint vieler Esser Geschmack derart abgestumpf zu sein, daß ohne Power nichts mehr geht. Die extremste Ausprägung sind die Salzer und Pfefferer, die nachwürzen, ohne überhaupt probiert zu haben…“Ihr habt bei diesem Gericht aber auch echt jedes Element gewürzt!”. “Ja, wir gehen bei Würzen, besonders beim Salz, immer an die Grenze”.
“Die Sauce ist aber extrem salzig und leicht bitter.” “Meine Sauce reduziere ich meistens stark ein”.
“Beim Verwenden von Miso, braucht es dann noch die Salzflakes auf dem Fleisch?!”. “(Schulterzucken)”.
Diese mehr oder minder frei erfundenen Dialoge spiegeln meinen Eindruck wider, daß mit immer mehr Intensität versucht wird, Zunge und Gaumen des Gastes zu stimulieren. Besonders Salz, dessen Mangel ein Gericht allerdings auch fad erscheinen lassen kann, ist häufig das Mittel der Wahl. Jedes Detail ein Aha-Erlebnis. Das ist bei einem umfangreicheren Menü recht anstrengend, wenn schon beim Amuse gueule auf Loudness gedrückt wird. Denn nicht nur der überbordende Einsatz von Salz ist (für mich) problematisch; gepaart mit Süße wirkt er zwar geschmacksverstärkend, legt sich aber auch dominant über die Geschmacksknospen.
Der Mensch kann die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami wahrnehmen. Sauer kommt in Gerichten noch relativ häufig als Kontrapunkt vor und während die Geschmacksrichtung bitter durch Züchtung (Spargel) oder Rezeptänderungen (Bier!) aus dem Ess-Alltag relativ verschwunden ist, gewinnt Umami, dieser vollmundige Geschmack, immer stärker an Bedeutung. Dabei muß es nicht immer um Geschmacksverstärker wie Mononatriumglutamat oder Hefeextrakt gehen – Glutamate kommen in vielen Lebensmitteln (Parmesan, Tomaten, Sojasauce, Algen, getrocknete Pilze, einigen Fischarten, Sellerie) auch ganz natürlich vor oder können durch Garprozesse (z.B. reduzierte Fonds, Fermentation) herausgekitzelt werden. Aktuell gibt es gar den Hersteller Tomami, der damit wirbt, daß sein Produkt (“aus vollreifen Tomaten gewonnen und schonend reduziert”) den “Eigengeschmack der Zutaten auf natürliche Weise anhebe”. Das ist nichts Verbotenes – ein natürliches und unbedenkliches Produkt. Bedenklich ist aber der Griff in der (Spitzen)Küche zu diesen Mittel. Es ist ein weiterer Schritt, den natürlichen Geschmack eines Produktes zu pimpen und eine Intensität zu simulieren, wo eigentlich leisere Töne vorherrschen. So ist es auch kein Wunder, daß sich momentan Sojasauce und Miso größerer Beliebtheit erfreuen – auch in meiner kleinen Küche.Ich plädiere einfach für mehr Sensibilität beim Salzen und Würzen allgemein. Ohne Zweifel kann und darf sich die Intensität und Dramatik eines Menüs steigern. Aber dazu muß noch Steigerungspotenzial vorhanden sein. Es erfordert gewiß Mut, auch mal eine Komposition zu präsentieren, die auf den ersten Bißchen fad, laff und langweilig wirken könnte. Vielleicht siegt am Ende aber der Eigengeschmack eines hervorragenden Produktes. Wie sooft gilt: die Mischung macht’s…
Wem das alles zu kryptisch ist, anhand einer Musikempfehlung läßt sich das ganze auch komprimiert (sic!) nachvollziehen. Man sollte sich von Joe Henry ubedingt dessen letztes Album “Invisible Hour” als Compact Disc anhören. Und danach ein herkömmliches Album mit Chartmusik. Der Unterschied in klanglicher Tiefe, Dynamik und letztlich Natürlichkeit ist frappierend! Und das ist es, was ich mir auch beim Essen wünsche…
Wobei das von Dir geschilderte Phänomen in beiden Sphären doch wohl eher ein dem Mainstream innewohnendes ist, oder? Musikalisch rate ich zu Lo-Fi und alten Vinylaufnahmen. Kochtechnisch reicht in der Regel ein Blick auf die Unterarme der Küchenbrigade: Je mehr Tattoos, desto Umami.